Ohnehin zeichnet sich Andreas Linkes Inszenierung seines ersten "Marie Brand"-Films nicht zuletzt durch die Sorgfalt im darstellerischen Detail aus. Der Film beginnt in einem Gerichtsgebäude: Brand hat vor Jahren den Mörder Rainer Sperl (Dirk Borchardt) hinter Gittern gebracht und soll in der Berufungsverhandlung ihre Zeugenaussage wiederholen. Bei der Begegnung im Flur schaut der Verbrecher der Kölner Kommissarin beinahe liebevoll nach. Kurz drauf gelingt Sperl die Flucht, und weil er Brand Rache geschworen hat, will ihr Chef (Thomas Heinze) sie aus der Schusslinie entfernen. Die Ermittlerin denkt aber gar nicht dran, denn sie hat einen Fall zu klären: Am Rheinufer ist die Leiche einer Frau gefunden worden, und alles spricht dafür, dass der Ehemann (Harald Schrott) der Mörder ist, zumal er ein Verhältnis mit einer Angestellten (Isabel Gerschke) hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
In TV-Krimis entpuppen sich verschiedene Verbrechen in der Regel als zwei Seiten derselben Medaille. Hier jedoch haben die beiden Ebenen nichts miteinander zu tun, aber natürlich profitiert der alles andere als ungewöhnliche Erzählstrang mit der toten Ehefrau enorm von der Gefahr, die der Kommissarin die ganze Zeit droht. Das Drehbuch (Leo P. Ard, Michael B. Müller) ergänzt den Fall zwar noch um einige andere Figuren, darunter der verhaltsauffällige 18jährige Adoptivsohn (Merlin Rose) des Ehepaars, aber ohne die permanente Bedrohung wäre "Marie Brand und die Schatten der Vergangenheit" ein Fernsehkrimi wie viele andere. Schon allein die Idee, einen alten Fall wieder aufzugreifen, ist für die treuen Freunde der Reihe jedoch ein kleines Fest. Für alle anderen ist es dagegen völlig irrelevant, wenn sie "Marie Brand und die falsche Frau" (2012) nicht gesehen haben, es kommt einzig und allein auf Sperls Rachemotiv an. Das damalige Drehbuch war ebenfalls von Leo P. Ard, Koautorin war seine wenige Monate nach der Ausstrahlung verstorbene Lebensgefährtin Birgit Grosz.
Für Dirk Borchardts Geschmack werden ihm Rollen wie die des Mörders Sperl vermutlich zu oft angeboten, aber er verkörpert diese skrupellosen und kaltblütigen Verbrecher mit einer beunruhigen Glaubwürdigkeit. Parallelmontagen sorgen dafür, dass die beiden Ebenen immer wieder geschickt miteinander verknüpft werden: Während der versehentlich eingesperrte Simmel versucht, seinem Gefängnis zu entfliehen, will Sperl Brands Wohnungstür knacken. Beide haben kein Glück; ein eindrucksvolles kompliziertes Kunstwerk aus Plastikbechern zeigt am nächsten Morgen, wie sich Simmel die Zeit vertrieben hat.
Auch wenn das Handwerk (Bildgestaltung, Schnitt, Musik) mit großer Sorgfalt und Professionalität erledigt worden ist: Filmsprachlich ist "Marie Brand und die Schatten der Vergangenheit" nicht weiter auffällig. Der Reiz des Krimis liegt in erster Linie in der permanenten Bedrohung, zumal das Drehbuch am Ende für einen kleinen Knüller sorgt, als sich rausstellt, dass es die ganze Zeit eine dritte Handlungsebene gab: Obwohl Sperl schließlich zur Strecke gebracht werden kann, schwebt Marie Brand immer noch in Lebensgefahr.