In "Auf kurze Distanz" war es allerdings ein Polizist, der sich auf das gewagte Spiel einließ. Diesmal ist die Hauptfigur eine Jurastudentin (Aylin Tezel), die nur deshalb in die missliche Lage geraten ist, weil sie ihr Studium durch Beischlafdiebstahl finanziert. Das ist zwar nicht sonderlich glaubwürdig, weil eine Vorstrafe das Ende jeder juristischen Karriere bedeuten würde, zumal die junge Aylin nun wirklich nicht dem Bild einer angehenden Anwältin entspricht, aber die Konstruktion ist die Voraussetzung für den Rest der Handlung (Buch: Ulrike Stegmann, Christof Reiling). Als Aylin tatsächlich vor Gericht landet, macht Drogenfahnder Jan (Ken Duken) vom Stuttgarter LKA ihr ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann: Sie soll sich an den ungewöhnlich cleveren Rauschgiftschmuggler Musab (Timur Isik) ranmachen und zu seiner Verhaftung beitragen. Im Gegenzug bekommt sie eine neue Identität und das Urteil wird getilgt, sodass sie weiter studieren kann.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Geschichte ist interessant, folgt aber über weite Strecken den üblichen Thriller-Mustern: Die Spannung vieler Szenen resultiert aus der Identifikation mit der Hauptfigur, die sich immer wieder in Situationen bringt, in denen sie sich besser nicht erwischen lassen sollte. Wenn man weiß, dass Philipp Leinemann mit seinem Polizeifilm "Wir waren Könige" 2014 eins der aufregendsten Kinodebüts seit Jahren hingelegt hat, fällt seine Inszenierung diesmal eine Nummer kleiner aus; auch wenn es natürlich nie fair ist, Kino und Fernsehen miteinander zu vergleichen. Außerdem hat "Die Informantin" eine wunderbare Hauptdarstellerin zu bieten. Der Entwurf der Titelfigur ist – von den eingangs angemerkten Einwänden abgesehen – eine großartige Rolle, die Aylin Tezel perfekt ausfüllt: Der Reiz des Films besteht nicht zuletzt aus der Rätselhaftigkeit Aylins. Die Geschichte wird zwar aus ihrer Perspektive erzählt, aber trotzdem bleibt offen, was sie wirklich fühlt: Ist sie in Jan, mit dem sie eine Affäre beginnt, verliebt, oder spielt sie nur mit ihm? Gleiches gilt für ihre Beziehung zu Musab, der alsbald fasziniert ist von dieser jungen Frau, die ausgesprochen cool sein kann, sich bei Bedarf aber wie eine rotzige Göre aufführt.
Ausgezeichnet ausgedacht sind auch die Momente, in denen Aylin die beiden Männer in ihren Bann zieht. Im emotionalen Nahkampf ist Timur Isik zudem wesentlich glaubwürdiger als bei seinen Auftritten als großer Drogenboss. Die familiäre Aufteilung – Musab ist der clevere Kopf, sein Bruder Furkan (Adrian Saidi) der Mann fürs Grobe – ist ohnehin etwas schlicht, aber ein gängiges Mittel solcher Geschichten. Im Prolog ist es allerdings Musab, der die Drecksarbeit übernimmt: Als er rausfindet, dass sein Cousin ihn an die Drogenfahnder verraten hat, erschießt er ihn kaltblütig; ein Schicksal, das Jan seinem nächsten Spitzel tunlichst verschweigt. Auch das macht die Geschichte so spannend: Jeder ist sich selbst der nächste; es sei denn, die Gefühle machen den Figuren einen Strich durch die Rechnung.
Einige Nebenstränge wären nicht nötig gewesen; so wird zum Beispiel die Beziehung zwischen Jan und seiner älteren Kollegin Hannah (Suzanne von Borsody) unnötig kompliziert, weil er was mit ihrer Tochter hat. Andererseits ist es im Grunde egal, was Ken Duken spielt, er macht das ohnehin fabelhaft; seine tiefenentspannte Art ist ein angenehmer Ausgleich zur gern auch mal hochtourigen Aylin Tezel, die hier ähnlich restlos überzeugt wie in dem Drama "Am Himmel der Tag" oder in der Kinokomödie "Coming in"; im "Tatort" aus Dortmund wirkt im Vergleich zu den alten Hasen oft ein bisschen wie die Kinderpolizei.