TV-Tipp: "Neu in unserer Familie" (ARD)

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TV-Tipp: "Neu in unserer Familie" (ARD)
7.6., ARD, 20.15 Uhr: "Neu in unserer Familie"

Den Fernsehfilmredaktionen von ARD und ZDF wird regelmäßig vorgeworfen, zu sehr auf die klassische Familie fixiert zu sein und alternativen Konstellationen zu wenig Raum zu bieten. Hin und wieder gibt es mal Patchwork-Komödien, aber ansonsten gilt "Vater, Mutter, Kind". "Neu in unserer Familie" vom vielfach ausgezeichneten Erfolgsduo Daniel Nocke/Stefan Krohmer über ein Elternpaar, das sich auf das Experiment einer offenen Beziehung einlässt, fällt jedoch nicht nur inhaltlich aus dem Rahmen. Filmisch mögen Krohmers Arbeiten nicht weiter raffiniert sein, darstellerisch aber sind sie regelmäßig bemerkenswert. Für den von der ARD-Tochter Degeto in Auftrag gegebenen Zweiteiler gilt das in besonderem Maße, denn hier spielen auch die Kinder wichtige Rollen. Das Ensemble ist zudem vorzüglich zusammengestellt, was in diesem Fall äußerst wichtig war, denn am Ende leben praktisch alle Mitwirkenden unter einem Dach.

Der spezielle Reiz von "Neu in unserer Familie" liegt in dem für Nocke und Krohmer ungewöhnlichen Ansatz, eine Geschichte über ein harmonisches Paar zu erzählen, weshalb es auch keine echten Antagonisten gibt: Marit und Jonas (Maya Schöne, Benno Führmann) führen seit 14 Jahren eine Ehe ohne Trauschein, sie haben zwei tolle Kinder und keine materiellen Sorgen. Der Film beginnt mit ihrem Umzug von Köln nach Berlin. Auf die erste Zäsur folgt gleich eine zweite: Die beiden beschließen, jenen Versuchungen nachzugeben, die sich im Lauf des Lebens immer wieder mal anbieten, und keinerlei Geheimnisse voreinander zu haben. Jonas testet die neue Freiheit als erster: Als er noch mal nach Köln muss, lernt er Johanna (Inez Bjørg David) kennen. Die lebensfrohe junge Frau versteht sich auf Anhieb gut mit Jonas’ Eltern, die ebenfalls Köln leben, kümmert sich um Mutter Anneliese (Dagmar Laurens), als der Vater einen Herzinfarkt hat, und lässt sich auf das Affären-Arrangement ein. Marit ist zwar etwas überrascht, wie flott das alles geht, findet aber ebenfalls bald einen Zweitmann. Christian (Henning Baum), Heavy-Metal-Musiker und zweifacher Vater, entpuppt sich jedoch als Romantiker, der viel von Treue hält, sich unsterblich in Marit verliebt und deshalb erst mal Abstand nimmt. Damit ist es vorbei, als sich rausstellt, dass die stürmische Begegnung der beiden nicht ohne Folgen geblieben ist. Also wagen alle Beteiligten ein zweites, noch ungewöhnlicheres Experiment: Christian zieht samt seinen beiden Töchtern zu Marit und Jonas. Nun sind sie eine Patchwork-Familie mit drei Eltern, und wenn gelegentlich auch noch Johanna vorbeischaut, ist die Idylle perfekt; bloß Anneliese schüttelt den Kopf.

Zwischen den erwachsenen Beteiligten gibt es zwar weder Konkurrenzdenken noch Eifersucht oder Besitzansprüche, aber Nocke und Krohmer verklären das Modell nicht; die kleinen Risse werden beiläufig, aber sichtbar inszeniert. Dass außer Johanna alle Familienmitglieder Musik machen, erklärt, weshalb sie so gut miteinander harmonieren. Davon abgesehen macht der Film keinen Hehl daraus, dass die Kinder alles andere als begeistert sind. Die Konflikte werden nicht beschönigt, aber auch nicht unnötig dramatisiert, zumal der Film auch dank der ausgesprochen coolen Musik nie seinen entspannten Tonfall verliert und immer wieder unerwartet witzig ist. Erfrischend offen ist auch die unverkrampfte Darstellung von Sex.

Die Frage, ob die Konstellation auch im wirklichen Leben funktionieren würde, stellt sich gar nicht erst, weil sämtliche Mitwirkenden keinerlei Zweifel an ihren Rollen aufkommen lassen. Die beste Idee war womöglich die Besetzung der jeweiligen Bonusliebe: Inez Bjørg David versieht die erfrischende Johanna mit derart viel positiver Ausstrahlung, dass sie nicht nur die Kinder, sondern auch Marit umgehend für sich einnimmt. Henning Baum wiederum ist schon allein wegen seiner physischen Präsenz eine Wucht. Christian hat ein Kreuz wie ein Schrank, aber eine empfindsame Seele, was prompt zum einzigen Missklang zwischen den beiden Männern führt, als ein Junge nicht die Finger von Jonas’ Tochter lassen will. Christian versucht es im Guten, Jonas wird handgreiflich. Die zwei regeln das wie echte Kerle und gehen erst mal einen trinken, aber Ärger gibt es trotzdem, weil der Vater des Jungen mit dem Anwalt droht.

Der Vorfall stammt aus dem zweiten Teil ("Ein Baby für alle"), der wesentlich episodischer strukturiert ist als Teil eins ("Zwei Eltern zu viel"), was sich angesichts des gewachsenen Ensembles wohl auch gar nicht vermeiden ließ, denn nun geht es nicht mehr nur um die Kernfamilie; gerade die pubertierenden Kinder müssen lernen, mit der neuen Situation klar zukommen. Umso wichtiger war deren Besetzung, und da haben die Verantwortlichen ein hervorragendes Händchen bewiesen. Vor allem Maria Matschke als die jüngere Selma ist sensationell gut und wirkt trotz der reifen Dialoge nie altklug. Ihre Rolle ist doppelt schwierig: Ihr Bruder Luis (Max Boekhoff) verliebt sich in ihre Freundin Alexa (Naima Kelm), die fortan nur noch Augen für ihn an; auch diese beiden hat Krohmer ausgezeichnet geführt.

Neben der wunderbar gelungenen Melange aus Komödie und ernstem Hintergrund imponiert "Neu in unserer Familie" durch eine Entspanntheit, die sich womöglich erst dann einstellt, wenn man schon seit fast zwanzig Jahren zusammenarbeitet. Nocke hat praktisch alle Drehbücher zu den Filmen Krohmers geschrieben. Für "Ende der Saison" (2002) und "Familienkreise" (2004) wurden sie mit dem Grimme-Preis geehrt, weitere gemeinsame Filme waren "Sommer ’04" (2006) und "Dutschke" (2010). Der Zweiteiler führt zur Perfektion, was auch die früheren Werke des Duos auszeichnete: Die Dialoge klingen so natürlich, als würde die Kamera (Patrick Orth) nicht Darstellern, sondern dem echten Leben zuschauen; etwas Besseres lässt sich über Schauspielkunst dieser Art nicht sagen. Teil zwei zeigt die ARD am Freitag.