TV-Tipp: "Unter Verdacht: Verlorene Sicherheit" (Arte)

TV-Tipp: "Unter Verdacht: Verlorene Sicherheit" (Arte)
4.5., Arte, 20.15 Uhr: "Unter Verdacht: Verlorene Sicherheit"
Auch wenn es zynisch klingt: In Zeiten wie diesen geht ein Sender ein gewisses Risiko ein, wenn er akzeptiert, dass ein Film mit einem Terroranschlag beginnt; die Gefahr, dass die Ausstrahlung kurzfristig verschoben werden muss, ist nicht von der Hand zu weisen.

Tatsächlich ist der Auftakt zum Zweiteiler "Verlorene Sicherheit", der 26. Episode aus der ZDF-Reihe "Unter Verdacht", derart realistisch, dass die Bilder auch in friedlicheren Jahren beträchtliche Beklemmungen hervorrufen würden: Bei einem Umzug während des Oktoberfests explodiert mitten in München eine Bombe. Die geschickte Kombination mit offenbar authentischem Bildmaterial lässt die Szene noch erschütternder wirken; erst recht, als der sich verziehende Qualm den Blick auf ein mutterseelenallein mitten im Chaos stehendes Mädchen freigibt. Und natürlich weckt ein derartiger Auftakt hohe Erwartungen. Ähnlich wie in dem kurz zuvor ausgestrahlten "Tatort" aus München ("Der Tod ist unser ganzes Leben") steigert sich der Nervenkitzel gerade auch dank der Musik (hier wie dort: Sebastian Pille) innerhalb weniger Augenblicke auf die höchste Stufe; aber wie soll es dann weitergehen?

Andreas Herzog - "Verlorene Sicherheit" ist sein fünfter Beitrag zu der Reihe – hat klugerweise gar nicht erst versucht, dieses Spannungsniveau zu halten. Das Drehbuch des Autorenduos Stefan Holtz und Florian Iwersen, das mit dem Regisseur bereits bei der "Unter Verdacht"-Episode "Ohne Vergebung" zusammengearbeitet hat, bleibt zunächst dem quasi dokumentarischen Stil treu: Es folgen Nachrichtenschnipsel, eine Pressekonferenz und die Fernsehansprache des Ministerpräsidenten. Die eigentliche Geschichte beginnt gänzlich unspektakulär ein gutes Jahr später, als sich die interne Ermittlerin Eva Prohacek und ihr Mitarbeiter Langner (Rudolf Krause) mit einem Polizisten treffen, dessen Gehalt gepfändet worden ist. Ein reiner Routinetermin, doch für die Kriminalrätin birgt das Gespräch eine zweifache Brisanz: Cem Oktay (Sohel Altan Gol) war einst ihr Pflegekind, bis die Aufgabe sie überforderte und der Kontakt abbrach; außerdem hatte er während des Anschlags Dienst. Er hat die Explosion nur durch Zufall überlebt, weil ihm schlecht war und er seinen Posten verlassen musste. Als im Internet ein Video auftaucht, dass Cem dabei zeigt, wie er den Wagen des Attentäters durchwinkt und dann den Schauplatz des Verbrechens verlässt, steht für die Öffentlichkeit fest, dass er mit drin steckt; und Eva Prohacek muss sich auf einen Fall einlassen, der sie auf ganz ähnliche Weise an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit führt wie vor 25 Jahren der Reihenauftakt "Verdecktes Spiel". Damals war sie nach einem traumatischen Erlebnis psychisch gebrochen; diesmal ist es ihr Körper, der nicht mehr mitmacht, und darauf bezieht sich der Titel "Verlorene Sicherheit" mindestens ebenso sehr wie auf die allgemeine Lage.

Schon allein die Idee, die Hauptfigur mit einer Person aus ihrer Vergangenheit zu konfrontieren, ist reizvoll. Cem, damals von dem jungen Thommy Schwimmer verkörpert, ist tatsächlich als Randfigur in einigen der ersten Filme aufgetaucht. Diese persönliche Betroffenheit gibt dem Fall automatisch eine besondere Note, zumal das einstige Mündel, mittlerweile verheiratet und Vater eines Sohnes, schließlich verhaftet wird: Cem hat einer unter Islamismusverdacht stehenden Stiftung Geld überwiesen. Mitten in den Ermittlungen spielt jedoch plötzlich Prohaceks Gesundheit nicht mehr mit: Ausgerechnet in dem Moment, als sie eine Speicherkarte mit einem Video findet, das Cems Unschuld belegt, hat sie einen leichten Schlaganfall; anschließend ist der Chip verschwunden. Kurz drauf wiederholt sich das Ereignis: Erneut stößt sie auf entscheidende Beweise, erneut hat sie einen weiteren, diesmal wesentlich schlimmeren Schlaganfall, und Abteilungsleiter Claus Reiter (Gerd Anthoff), der sich schon eine Menge hat zuschulden kommen lassen, begeht die vermutlich größte Niedertracht seines Lebens; selbstredend endet damit auch der erste Teil.

Die Faszination der Reihe bestand von Anfang an in der Konstellation David gegen Goliath; und in der Tatsache, dass zu den Gegenspielern der moralisch höchst integren Kriminalrätin stets auch der eigene Vorgesetzte gehörte, weil Reiter dank seiner Verbindungen zur regierenden Landespartei jedes Mal irgendwie mit drin steckte, wenn die Kriminellen wieder mal aus den höchsten Kreisen stammten. Diesmal allerdings ist der Mann ähnlich angeschlagen wie Prohacek: Seine Frau will die Scheidung, und als er ihr androht, sie werde keinen Cent bekommen, sorgt sie dafür, dass das Finanzamt von seinem Schwarzgeld erfährt; nun haben ihn seine Parteigenossen in der Hand. Als Prohacek rausfindet, dass der Verfassungsschutz den Anschlag hätte verhindern können, soll Reiter seine Ermittlerin mit allen Mitteln stoppen, schließlich steht die nächste Wahl an, da darf das Vertrauen der Wähler in den Staat und somit auch in die Regierungspartei nicht erschüttert werden. Nun beginnt ein dreckiges Spiel, das selbst in den an Skandalen und Abgründigkeiten wahrlich nicht armen bisherigen 25 Folgen von "Unter Verdacht" seinesgleichen sucht.

Die herausragende Qualität des Films besteht nicht zuletzt in dem Mut, die mindestens zwielichtige, wenn nicht gar kriminelle Rolle des Staatsschutzes zu beleuchten. Die Parallelen zum Hintergrund der "NSU"-Morde werden spätestens dann offensichtlich, als Prohacek entdeckt, dass der Komplize des Attentäters ein V-Mann war. Neben Herzogs jederzeit fesselnder Inszenierung imponiert "Verlorene Sicherheit" nicht zuletzt durch den Detailreichtum der Geschichte; dank des enormen Handlungsreichtums ist ein Zweiteiler mehr als gerechtfertigt. Außerdem gelingt es Holtz und Iwersen immer wieder, das große Ganze mit dem Alltäglichen zu verknüpfen: hier die Staatsraison, die die Beziehungen zu einem ökonomisch und militärstrategisch wichtigen arabischen Staat über Einzelschicksale stellt; dort die Beobachtung eines kleinen Jungen, der Prohacek mit seiner zunächst verwirrenden Aussage, ein Auto sei ohne Fahrer gefahren, auf eine wichtige Spur führt.

Im zweiten Teil rückt die persönliche Ebene stärker in den Vordergrund; der Film wird mehr und mehr zu einem Zweikampf zwischen Prohacek und einem leitenden Beamten vom Verfassungsschutz. Dass der Kerl Dreck am Stecken hat, steht von Anfang an außer Frage, weil Dirk Borchardt seinen vielen formidablen Schurkenrollen eine weitere hinzufügt. Senta Berger gelingt ohnehin erneut eine vorzügliche Leistung. Für Produzent Mario Krebs wird es eine echte Herausforderung, das Niveau dieses auch in kleinen Rollen vorzüglich besetzten Films in den letzten Produktionen zu halten oder gar noch zu steigern. Der Abschluss der Reihe wird ebenfalls vom Trio Herzog, Holtz und Iwersen stammen.