TV-Tipp: "Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben" (ARD)

TV-Tipp: "Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben" (ARD)
30.4., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben"
Der Krimi "Die Wahrheit", ausgestrahlt im Herbst 2016, war eine der besten "Tatort"-Episoden des Jahres. Das Münchener Ermittlerduo suchte einen Mörder, der auf offener Straße eine scheinbar völlig sinnlose Tat begangen hatte. Der offene Schluss verlangte dringend nach einer Fortsetzung, und die liefert der Bayerische Rundfunk nun mit einem Film, der womöglich noch besser ist. "Der Tod ist unser ganzes Leben" funktioniert auch dann, wenn man "Die Wahrheit" nicht gesehen hat, zumal die Ereignisse von damals geschickt integriert nachgereicht werden.

Das Drehbuch (Holger Joos) bettet die Rahmen in eine Anhörung. Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) soll vor einem Ausschuss berichten, was sich wenige Tage zuvor zugetragen hat: Der Mörder aus dem ersten Film hat erneut wahllos und willkürlich zugeschlagen. Dieses Mal konnte er jedoch festgenommen werden. Trotzdem könnte auch die Fortsetzung den Titel "Die Wahrheit" tragen, denn schon die ersten Fragen der Ausschussmitglieder machen deutlich, dass es in diesem Fall einen weiteren Schuldigen gibt, und das ist offenbar Leitmayrs Kollege Ivo Batic (Mirsolav Nemec).

Inszeniert wurde der Film von Philip Koch, der für den BR auch das Drehbuch zum Kinderprostitutionsdrama "Operation Zucker" geschrieben hat, sein Regiedebüt war das sehenswerte Jugendknastdrama "Picco" (2011). Seither hat er erst einen weiteren Film gedreht, was man diesem erstaunlich stilsicheren "Tatort" keinen Moment lang anmerkt. Den jüngsten Mordversuch hat Koch mit einer enormen Intensität inszeniert, und die Verhaftung des Mannes ist ein bildgestalterisches Kleinod. Die Bildsprache ist ohnehin noch konsequenter als bei "Die Wahrheit". Gerade die Gesprächsszenen finden stets im Zwielicht statt, sodass sich die Schauspieler im Halbschatten befinden. Die Gestaltung passt zur Botschaft: Die Wahrheit hat viele Gesichter. Zunächst erzählt "Der Tod ist unser ganzes Leben" jedoch konsequent Leitmayrs Perspektive: Batic, der sich ein bisschen in die Witwe des ersten Opfers verliebt hatte, möchte den Transport des Mörders begleiten. Als der Wagen wegen eines Staus von der geplanten Route abweicht, wandelt sich Sebastian Pilles vorzügliche Thrillermusik, deren dräuende Untertöne von Beginn an großes Ungemach ankündigen, zu einem Dröhnen: Das Unheil nimmt seinen Lauf. Als sich der Staub der Ereignisse schließlich wieder gelegt hat, sind mit Ausnahme von Batic und Leitmayr alle Beteiligten tot. Die Kommissare sind nur knapp mit dem Leben davongekommen, aber gleichfalls versehrt an Leib und Seele.

Schon die Handlung ist faszinierend, zumal Koch und sein Kameramann Jonas Schmager immer wieder die passenden Bilder finden, und natürlich verdankt der Film seinen besonderen Reiz der Frage danach, welchen Anteil Batic an den Todesfällen hatte. Seine herausragende Qualität entfaltet der Krimi jedoch durch das Spiel mit der Realität: Weil Leitmayr und der junge Kollege Kalli (Ferdinand Hofer) verschiedene Varianten der Wirklichkeit durchspielen, präsentiert der Film immer wieder neue Realitäten. Dazu passt auch die Anhörung: Aus Loyalität mit dem Kollegen stehen Leitmayrs Aussagen regelmäßig in klarem Widerspruch zu seinen visualisierten Erinnerungen. Die wichtigste Tatsache bleibt dennoch unumstößlich: Die tödlichen Schüsse sind mit Batics Pistole abgegeben worden, und auf der Waffe finden sich ausschließlich seine Fingerabdrücke.

Dass die dramaturgische Konstruktion so großartig funktioniert, verdankt "Der Tod ist unser ganzes Leben" – der Titel bezieht sich auf eine deprimierte Erkenntnis Batics – nicht zuletzt Kochs Schauspielerführung. Gerade den beiden Hauptdarstellern gelingt es nach nunmehr 26 gemeinsamen (Dienst-)Jahren erneut, das gemeinsame Spiel auf eine noch höhere Ebene zu heben. Nicht zu unterschätzen ist auch der Anteil von Gerhard Liebmann. Mit seinem Allerweltsgesicht ist er die perfekte Besetzung für den Mörder, der im Grunde ein Niemand ist. Klugerweise verzichtet Koch darauf, diesen Thomas Barthold als Teufel in Menschengestalt zu inszenieren: Der Mann ist keineswegs das personifizierte Böse, sondern ein brillanter finsterer Manipulator, der Batic immer wieder so lange provoziert, bis der prompt aus der Haut fährt. Kein Wunder, dass die Geschichte schließlich Züge einer griechischen Tragödie annimmt.

Die "Tatort"-Episoden müssen wegen ihrer häufigen Wiederholungen in den dritten Programmen grundsätzlich als Einzelfilm funktionieren, deshalb sind Fortsetzungen so selten; wenn sich die Sender ausnahmsweise doch darauf einlassen, sind die Ergebnisse jedes Mal herausragend, wie schon die beiden Kieler "Borowski"-Episoden mit Lars Eidinger als "Stiller Gast" gezeigt haben. Auch "Der Tod ist unser ganzes Leben" wird am Ende wie "Die Wahrheit" zu den besten Sonntagskrimis dieses Jahres gehören.