Tatsächlich ist den Beteiligten das Kunststück gelungen, den Stoff der im Diogenes-Verlag erschienenen Bücher als Film neu zu erfinden. Das dürfte in erster Linie das Verdienst von Martin Rauhaus sein: Der Drehbuchautor (zuletzt unter anderem "Hotel Heidelberg") ist ein begnadeter Dialogschreiber. In dem tragikomischen Krebsdrama "Ein starker Abgang" mit Bruno Ganz (2009) hat er diese Begabung zur Perfektion gebracht, mit seinen beiden "Allmen"-Drehbüchern knüpft er an den hohen Maßstab an. Die Hauptfigur ist wie geschaffen für Rauhaus: Johann Friedrich von Allmen, von Heino Ferch mit viel Grandezza verkörpert, ist zwar nicht halb so adelig, wie sein Name nahelegt, war aber immerhin äußerst vermögend. Dank eines ausufernden Lebensstils ist der Millionärserbe mittlerweile jedoch mittellos und schlägt sich als Kunstdieb durchs Leben. "Allmen und das Geheimnis der Libellen", der Film, beginnt jedoch vor dem Fall. Noch weiß der Gentleman den Schein zu wahren, aber es ist bereits beschlossene Sache, dass er seine prachtvolle Villa an die Bank abtreten muss; außerdem hat er Schulden bei einem ebenso vierschrötigen wie gewaltbereiten Geldverleiher (Peter Kurth).
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Adaption ist voll und ganz auf Ferch zugeschnitten, der nicht nur aus Suters Sicht eine ausgezeichnete Besetzung für diese Rolle ist: weil er sich die Figur gänzlich zu eigen gemacht hat. Außerdem profitiert er ganz wesentlich vom Rauhaus’schen Dialogtalent: Allmen redet gern und viel und weiß zu jeder Lebenssituation das passende Zitat eines großen Dichters und Denkers; Suters Held ist längst nicht so gesprächig. Rauhaus hat auf diese Weise nicht nur einen Weg gefunden, die Handlung in amüsante Dialoge umzuwandeln, er vermittelt auch ein ungleich positiveres Lebensgefühl als die Romane, durch die sich zumindest unterschwellig eine für Suter nicht untypische leicht morbide Verbitterung zieht.
Wenn gerade mal niemand da ist, mit dem sich Allmen austauschen kann, kommentiert er die Handlung. Das ist in anderen Komödien fast immer unnötig, denn echten Erkenntnisgewinn gibt es selten, aber der Film-Allmen ist dank Rauhaus weitaus geistreicher als die Buchfigur, weshalb es großen Spaß macht, ihm zu lauschen. Dass Ferch darüber hinaus gelegentlich direkt in die Kamera spricht, ist zwar überflüssig, stört aber nicht weiter, zumal sich Allmen von seinem Diener fragen lassen muss, mit wem er da eigentlich rede. Dieser Carlos ist ohnehin ein Gewinn für die Filme. Samuel Finzi, geboren in Bulgarien, hat zwar im Unterschied zur Vorlage nichts von einem Maya-Nachkommen, verkörpert Allmens ständigen Begleiter aber mit der gleichen Hingabe wie Ferch die Titelfigur. Finzi hat deutlich weniger Dialog, macht das jedoch mimisch wieder wett; außerdem versieht er seine Sätze mit gerade soviel Süffisanz, dass sie nicht insubordinant klingen. Davon abgesehen ist Carlos seinem Chef in bedingungsloser Loyalität ergeben. Ferch und Finzi haben sich bereits in dem kunstvollen Dreißiger-Jahre-Drama "Fritz Lang" kongenial ergänzt.
Die eigentliche Handlung des Films ist rasch erzählt: Als Frauenheld Allmen die schöne Jojo (Andrea Osvárt), Spross einer der reichsten Schweizer Familien, kennenlernt, nutzt er die Gelegenheit, um aus der Kunstsammlung ihres Vaters (Hanns Zischler) eine wertvolle Schale zu entwenden. Er verkauft das gute Stück einem Kunsthändler (Gustav Peter Wöhler), dem er auch den Rest der "Libellen"-Sammlung anbieten möchte. Aber da ist der gute Mann bereits tot, gemeuchelt von einem Mörder, der es auch auf Allmen abgesehen hat. Im Grunde ist der "Fall" vor allem Mittel zum Zweck, um sich daran zu erfreuen, wie sich die Schauspieler ihre Figuren angeeignet haben. Die Besetzung ist ausnahmslos vortrefflich: Die auch in amerikanischen Produktionen gern engagierte Ungarin Andrea Osvárt, die ihr deutsches Kinodebüt in Matthias Schweighöfers Film "Der Nanny" gegeben hat, bringt als Jojo alles mit, um den weltmännischen Allmen zu romantischer Hochform auflaufen zu lassen, und Ben Becker ist als Schurke ohnehin eine Bank.
Unbedingt sehenswert sind jedoch Ferch und Finzi, die als Duo an die großen Filmpartnerschaften von Sherlock Holmes und Dr. Watson bis zu Inspektor Clouseau und seinem treuen Diener Cato anknüpfen. Dass die "Allmen"-Filme an die "Pink Panther"-Reihe erinnern, liegt neben dem schwungvollen Swing von Fabian Römers Filmmusik im Stil von Henry Mancini vor allem an Regisseur Thomas Berger, der die Gaunerkomödie wie eine Reminiszenz an die cineastischen Gentleman-Ganoven à la "Ocean’s Eleven" wirken lässt. Der "Kommissarin Lucas"-Schöpfer hat zuletzt fürs ZDF den herausragenden Krimi-Zweiteiler "Solo für Weiss" gedreht. Sein größtes Verdienst lag diesmal womöglich darin, die wortgewandte Hauptfigur in eine lakonische Inszenierung zu betten.