Marens Mann Mehdi (Carlo Ljubek) und ihre Freundin Iris (Jasmin Gerat) sind skeptisch, aber je größer die Zweifel in ihrer Umgebung werden, umso hartnäckiger verbeißt sich Maren auf ihre Nachforschungen. Schließlich überschreitet sie die Grenze zur Paranoia: Sie ist überzeugt, dass sie observiert und abgehört wird, wähnt auch Mehdi auf der Lohnliste der Gegenseite und flieht mit den Kindern aus der Stadt, weil sie einen Anschlag mit einer „Schmutzigen (Atom-)Bombe“ fürchtet.
„Im Tunnel“ ist ein cleverer Titel für diese Mischung aus Psycho- und Verschwörungs-Thriller: Marens Bruder hat den Skandal durch Zufall entdeckt, als er die Geschäftsräume von Maren und Iris umbauen sollte. Zunächst gibt es nur ein Loch in der Kellerwand, aber dann vergrößert Maren die Lücke und klettert hindurch. Fortan wird sie immer wieder durch die Gewölbe streifen, während sie sich gleichzeitig immer tiefer in einen mentalen Tunnel vergräbt. Kai Wessel inszeniert das anfangs wie einen Horrorfilm. Auf diese Weise wirkt das Loch sowohl bildlich als auch buchstäblich wie ein Durchgang in eine andere Welt. Als Maren die Schwelle überschreitet, gibt es kein Zurück mehr. Entsprechend fesselnd sind ihre Erkundungen der Unterwelt. Die Bilder zeigen bloß eine Frau mit einer Taschenlampe, aber die Tonspur mit ihren nicht näher definierten Geräuschen und einer Musik (Martin Todsharow), die mitunter fast weh tut, sorgt für eine unheimliche Atmosphäre. Ähnlich sorgfältig ist die ästhetische Gestaltung. Immer wieder zeigt Ngo The Chau die Heldin aus der Distanz, sodass sie wie eine kleine Figur in einem viel zu großen Spiel wirkt. In den besten Szenen lassen Wessel und sein Kameramann eine optische Intensität entstehen, die an den Klassiker „Der dritte Mann“ erinnert.
Allerdings hat der Film auch einen großen Haken: Wessel und Autorin Astrid Ströher geben viel zu früh preis, dass Maren unter Wahnvorstellungen leidet. Ströher ist Chefautorin der ZDF-Serie „Notruf Hafenkante“ und hat zuletzt mehrere Bücher für die Hebammen-Reihe „Lena Lorenz“ geschrieben. Sie bettet die Geschichte in eine Rahmenhandlung: Eine Psychiaterin (Johanna Gastdorf) soll ein Gutachten erstellen und lässt sich im Gefängnis von Maren die Ereignisse berichten. In diesem Gespräch bleibt Marens geistiger Gesundheitszustand zunächst jedoch noch offen. Ihre Schilderungen klingen zwar abwegig, könnten aber in der Tat das Ergebnis eines besonders perfiden Komplotts sein. So lange der Film die Psychose aus der subjektiven Perspektive erzählt und sämtliche Vorfälle plausibel in die Verschwörungstheorie integriert, gelingt es Wessel, eine ganz spezielle Form der Spannung zu erzeugen. Als sich etwa zur Hälfte rausstellt, dass Maren paranoid ist, geht diese Spannung verloren, zumal nun klar wird, dass ihr bei den unterirdischen Erkundungen keine unmittelbare Gefahr droht.
Als Psychogramm ist „Im Tunnel“ dennoch sehenswert, zumal Maria Simon lange Zeit bewundernswert auf dem schmalen Grat zwischen Wahn und Wirklichkeit balanciert. Das Trio Wessel/Ströher/Simon hat bereits bei dem 2011 ausgestrahlten Drama „Es war einer von uns“ zusammengearbeitet; darin spielte Simon eine Frau, die nach einer Vergewaltigung im Freundeskreis niemandem aus ihrer Umgebung mehr vertrauen kann und sich ebenfalls in eine fixe Idee hineinsteigert. Auch die weiteren Darsteller sind sehenswert. Eine Entdeckung für den Fernsehfilm ist Carolin Garnier als Marens heranwachsende Tochter; sie hat ihre ersten Kameraerfahrungen als Mitglied der Kinderdetektive „Die Pfefferkörner“ gesammelt.