Das dürfte in erster Linie das Verdienst von Uli Brée sein, einem Deutschen, der schon lange in Österreich lebt und sich den dortigen Schmäh offenbar ausgezeichnet angeeignet hat. Hier sorgt der Autor von Komödien wie „Spätzünder“ sowie der Serie „Vorstadtweiber“ für die geschickte Verknüpfung einer verzwickten Krimi-Story mit einer komödiantischen Ebene, die aber ebenfalls einen ernsten Hintergrund hat und nur deshalb komisch ist, weil sich das Ermittlerduo Moritz Eisner und Bibi Fellner (Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser) aufführt wie ein altes Ehepaar. Auslöser ist ganz schlicht der Beziehungsstatus: Er hat eine neue Freundin, sie bleibt solo und findet das doof; womöglich ist auch ein bisschen Eifersucht im Spiel. Jedenfalls brechen die beiden ausgerechnet am Schauplatz eines Mordes, also quasi im Angesicht des Verbrechens, einen derart lautstarken Streit vom Zaun, dass die Kollegen eingeschüchtert ein Stockwerk tiefer am Fuß der Treppe verharren, bis Fellner wutschnaubend das Feld räumt. Als hätten sie’s so eingefädelt, machen die beiden kurz drauf das Beste draus: Das Mordopfer war Leiter der Wiener Polizeischule, das Projektil muss aus einer Polizeiwaffe stammen, und weil das Verhältnis zwischen Eisner und Fellner anscheinend zerrüttet ist, wundert sich niemand, dass die Majorin ihre Versetzung beantragt und kommissarisch die Nachfolge des Toten antritt, um rauszufinden, ob sie in der Ausbildungsstätte eine Erklärung für den Mord findet.
Trotz des „Ehestreits“ sowie der geschliffenen und vorzüglich vorgetragenen Sarkasmen ist „Wehrlos“ keine Krimikomödie, obwohl sich auch der liebevoll Inkasso-Heinzi genannte Kleinganove (Simon Schwarz) wieder mal die Ehre gibt. Die Geschichte ist sogar richtig eklig, weil Fellner in der Schule auf widerwärtige Missstände stößt, für die es leider immer wieder Vorbilder in der Realität beispielsweise deutscher Bundeswehrkasernen gibt. Der Film lässt von Anfang an keinerlei Zweifel daran, wer den Dreck am Stecken hat: Ausbilder Nowak (Simon Hatzl) ist schon allein durch seine Frisur als Schurke gebrandmarkt. Der Mann ist zudem ein Sexist, hat ganz offenkundig selbst auf den Chefposten spekuliert und macht der Majorin das Leben zur Hölle: von der öffentlichen Bloßstellung, indem er ihr Profil aus einem Internet-Partnerschaftsportal ans Schwarze Brett heftet, bis zur Batterie kleiner Schnapsflaschen, die er der trockenen Alkoholikerin im Handschuhfach deponiert. Selbst Fellner ahnt jedoch nicht, zu welchen Sauereien der Mann sonst noch fähig ist. Dass die Lösung des Falls am Ende eine ganz andere ist und es zudem noch eine nicht minder überraschende zweite gibt, belegt, dass Brée nicht bloß ein ausgezeichneter Dialogschreiber ist. Spätestens der traurige Schluss verdeutlicht, dass der Autor ohnehin keine Komödie im Sinn hatte.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Inszeniert wurde „Wehrlos“ von Christopher Schier, der auch die bislang nur im österreichischen Fernsehen ausgestrahlten ORF-Serie „CopStories“ gedreht hat. Sein formidables Handwerk hat der Regisseur jedoch als Werbefilmer gelernt, weshalb der Film auch optisch ein Genuss ist; das Licht zum Beispiel ist immer wieder ausgesprochen kunstvoll, und die ausgeklügelte Kamerafahrt gleich zu Beginn gibt einen guten Vorgeschmack auf die hohe Professionalität der Inszenierung. Schier sorgt außerdem dafür, dass sich die komödiantischen Elemente hervorragend in den Krimi integrieren. Die Komik resultiert nicht zuletzt aus den Versuchen diverser Nebenfiguren, in lächerlichen Situationen ihre Würde zu bewahren, und auch diese Momente sind im Grunde eher Dramen. Wunderbar gespielt ist zum Beispiel eine Vernehmungsszene, in der ein Ehepaar beiläufig die Abgründe seiner Beziehung offenbart. Wie gut Brée die Geschichte konzipiert hat, zeigt sich andererseits an den Details, die zunächst bloß Anlass zu Heiterkeit liefern, später aber wie ein finsterer Wiedergänger dafür sorgen, dass sich selbst gute Taten als Fluch erweisen. Deshalb sei auch verziehen, dass die Beteiligten ständig von der Pathologie reden, obwohl sie die Rechtsmedizin meinen.