Eigentlich ist „Marie Brand“ nicht das richtige Format für einen Film über einen Serienmörder. Die Krimis aus Köln beginnen zwar regelmäßig mit einem Leichenfund, aber dank des ganz speziellen Verhältnisses zwischen der Titelheldin und ihrem Kollegen Jürgen Simmel haben die Geschichten immer auch ein komödiantisches Moment. Dafür ist quasi im Alleingang Hinnerk Schönemann zuständig, der seinen Kommissar mit vielen kleinen Marotten versieht. Die Unterschiede zu seinen anderen Reihenfiguren aus „Nord Nord Mord“ oder den Krimis mit Privatdetektiv Finn Zehender („Tod einer Brieftaube“, „Mörderische Jagd“) entstehen nicht zuletzt aus dem Zusammenspiel mit Mariele Millowitsch: Marie Brand ist eine brillante Analytikerin, Simmel hat andere Qualitäten. Das daraus resultierende Minderwertigkeitsgefühl kompensiert er durch eine gewisse Großspurigkeit, die ihn einerseits regelmäßig die falschen Entscheidungen treffen und andererseits im Umgang mit der geduldigen Kollegin dauernd in irgendwelche Fettnäpfchen treten lässt.
Die Geschichte (Buch: Timo Berndt) ist ohnehin ziemlich ernst. Der Film beginnt mit der Ermordung der Geschäftsführerin von Amore Grande. Unmittelbar zuvor hatte sie Gruber um 30.000 Euro erleichtert; Erpressungsgeld, wie sich später rausstellt, denn den Betreibern des Portals war nicht verborgen geblieben, dass einige ihrer Kundinnen urplötzlich nicht mehr zu vermitteln waren. Da die Frauen an einer Überdosis Insulin gestorben sind, braucht auch das Ermittlerduo nicht lang, um den Arzt zum Hauptverdächtigen zu küren.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Entscheidender als die reine Krimihandlung ist jedoch die Art, wie Berndt sie erzählt. Natürlich ist die Überführung des Täters das Ziel des Films, doch der Weg dorthin ist letztlich interessanter. Außerdem versieht Heikko Deutschmann den vermeintlichen Mörder mit dem ihm eigenen Charme; selbst Marie Brand findet den Mann sympathisch. Reizvoll ist auch die Online-Ebene; immer wieder streut Berndt algorithmische Details aus der Dating-Agentur ein, ohne sich dabei in technischen Details zu verzetteln. Mit Simon Licht und Rick Okon als Vater und Sohn sind die Besitzer der Firma ebenfalls interessant besetzt. Zur Nerd-Fraktion gehört außerdem ein junger Mann (Florian Bartholomäi), der sein Glück mit virtueller Goldsuche gemacht hat und einen derart fetten Sportwagen fährt, dass Simmel ganz wuschig wird. Ansonsten entspricht der koksende Glücksritter, den mit dem jüngsten Mordopfer eine obsessive Liaison verband, allerdings sämtlichen Klischees. Dritter im Bunde der jungen Netzstürmer ist ein Diabetiker (David Korbmann), den Brand und Simmel zunächst für den Mörder halten, weil er das Insulin verwendet, an dem die Geschäftsführerin gestorben ist. Das Trio war einst unzertrennlich, hat sich dann jedoch entzweit; eine weitere der vielen Nebenebenen der Geschichte. Dazu zählt auch das private Ungemach der Titelheldin, das allerdings wie ein Vorwand wirkt, damit Thomas Heinze auch was zu spielen hat: Dr. Engler, Vorgesetzter von Brand und Sommel, hat eine Beziehung zwischen Marie Brand und einem Golffreund angestiftet. Der Mann hat sich einen Fehltritt erlaubt, weshalb sie ihn vor die Tür gesetzt hat; und das will Engler nun wieder einrenken. Die entsprechenden Intermezzi sollen wohl der Auflockerung dienen, laufen aber etwas nebenher und sind bei weitem nicht so amüsant wie die Zwischenspiele von Schönemann. Immerhin gelingt es Berndt und Regisseur Josh Broecker, die Auflösung der Mordfälle bis zum Schluss offen zu halten. Und die Flirts zwischen Simmel und der Schwester eines früheren Opfers sind so sympathisch, dass Jasmin Schwiers unbedingt weiter mitwirken sollte.