Die Kathedrale des Heiligen Sava in Belgrad ist die größte Kirche in Serbien. Mit ihren wuchtigen Kuppeln und goldenen Kreuzen überragt sie die Stadt. Auf dem großangelegten Platz vor der Kirche herrscht am Lazarus-Samstag, dem Tag vor Palmsonntag, jedes Jahr fast Kirmes-Atmosphäre. Roma-Frauen verkaufen Weidenkränze - "selbst gepflückt und selbst geflochten", sagt Milena, eine von ihnen. An provisorischen Ständen werden Heiligenbilder verkauft, kleine, auf Holz gemalte Ikonen, Kreuze und Rosenkränze. Aber auch Zuckerwatte, Eis und Limonade fehlen nicht.
Und es wimmelt von Kindern jeden Alters: Babys lugen aus den Kinderwagen heraus; kleine Kinder, die gerade laufen gelernt haben, wackeln im Stolperschritt an der Hand der Eltern. Kinder im Schulalter rennen umher, Jugendliche werkeln an ihren Smartphones. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind fein gemacht, mit Kränzen aus frisch ergrünten Weidenzweigen auf dem Kopf und kleinen Glöckchen um den Hals.
Vrba heißt auf Serbisch "die Weide"
Weidenkätzchen und Weidenkränze haben dem großen vorösterlichen Fest in Serbien den Namen gegeben: "Vrba" heißt auf Serbisch "die Weide", "Vrbica" heißt das Fest, das immer am Lazarus-Samstag stattfindet. Es ist vor allem ein Kinderfest: An diesem Tag gehören die Kirchen ihnen. Überall im Land nehmen sie fein herausgeputzt an Kinderprozessionen teil.
In den orthodoxen Kirchen hat der Lazarus-Samstag eine große Bedeutung: Er wird als Christi Sieg über den Tod gefeiert und "kleines Ostern" genannt. "Die Auferstehung von Lazarus, den Jesus dem Johannesevangelium zufolge vor Palmsonntag von den Toten auferweckt hat, ist die Einleitung des Palmsonntags, der an die Ankunft Jesu in Jerusalem erinnert", erklärt der orthodoxe Priester Zoran Vrbaski. "Da bei uns keine Palmen wachsen, nehmen wir eben Weidenzweige und Kränze, mit denen sich Kinder schmücken."
Die Messe wird live übertragen
Die Kinderprozession bewegt sich langsam voran. Es klingelt und bimmelt zum monotonen Gesang der Popen, Weihrauchduft liegt in der Luft. Luftballons fliegen in den Himmel, "Weidenkränze, Weidenkränze, billig, billig", schallt es an allen Ecken. Jovana, acht Jahre alt, erzählt beeindruckt: "Wir waren in der Kirche, haben eine Kerze angezündet, und dann sind wir an die frische Luft gegangen und drei mal um die Kirche gelaufen, und dann haben wir Weidenkätzchen gekauft und den Kranz und die Glöckchen auch."
In der Domkirche in Belgrad hält traditionell der serbisch-orthodoxe Patriarch Irinej die Messe, die Regierungsspitze und Diplomaten sind anwesend und das Fernsehen ist live dabei. Ein Kinderchor singt "Christus ist auferstanden, hat uns Freude gebracht".
Am frühen Nachmittag endet die "Vrbica"-Feier. Die Verkäufer räumen ihre Stände ab, die Körbe der Roma-Frauen sind leer. Was bleibt, sind die vom Popen gesegneten Weidenkränze, die ein Jahr lang, bis zum nächsten "Vrbica-Fest", die Haustüren zieren werden.
Ostern eine Woche später ist in Serbien ein Fest, an dem die Familien zusammenkommen und vor allem am Ostersonntag friedlich den Tag begehen. Viele Väter fahren von Belgrad aus in die umliegenden Dörfer, um dort ein Osterlamm auszusuchen, das am Ostersonntag die opulente, festliche Tafel zieren wird.
Den Osterhasen kennen serbische Kinder nicht
Am Karfreitag werden in Serbien traditionell die Eier gefärbt, noch immer oft mit natürlichen Farben: mit Zwiebeln, schwarzem Tee, Spinat oder Roter Beete. Zur großen Freude der Kinder gibt es am Ostersonntag dann einen Wettstreit unter Familienmitgliedern: Die bunten Eier werden gegeneinander gestoßen - das Ei, das heil bleibt, hat gewonnen. Einen Osterhasen, der Geschenke macht und Ostereier versteckt, kennen serbische Kinder allerdings nicht.
Die serbisch-orthodoxe Kirche richtet sich nach dem Julianischen Kalender, der auf Julius Cäsar zurückgeht; evangelische und katholische Kirchen orientieren sich am Gregorianischen Kalender, den Papst Gregor XIII. 1582 eingeführt hat. Darum fällt das Osterfest meist auf unterschiedliche Termine. In diesem Jahr allerdings feiern orthodoxe und westliche Kirchen am 16. April Ostern.