Fast jeder zweite Muslim in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr einer Studie zufolge ehrenamtlich für Flüchtlinge engagiert. Unter Christen war es der Studie zufolge jeder fünfte, von Konfessionslosen knapp jeder sechste, wie die Bertelsmann Stiftung am Montag in Gütersloh bei der Vorstellung einer Untersuchung zur Rolle der Religionen in der Flüchtlingshilfe erklärte.
Vorurteile, dass Muslime sich nur wenig in der Flüchtlingshilfe beteiligen und kaum gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, träfen nicht zu, bilanzierte die Bertelsmann Stiftung. Widerlegt werde auch der Verdacht, dass Muslime die Flüchtlingshilfe für eine religiöse Einflussnahme missbrauchten. Die große Mehrheit der Muslime werbe für eine offene Haltung gegenüber anderen Religionen. "Muslime sind mit ihrem Engagement in der Flüchtlingshilfe wichtige Brückenbauer in unsere Gesellschaft", sagte der Experte für gesellschaftlichen Zusammenhalt der Bertelsmann Stiftung, Stephan Vopel.
Moscheegemeinden unter den ersten und wichtigsten Anlaufstellen
Der Koordinationsrat der Muslime bekräftigte die Bereitschaft von Muslimen für die Integration von Flüchtlingen. "Muslime sind unabdingbare Partner, wenn es darum geht, die Neuankömmlinge in die deutsche Gesellschaft zu integrieren", sagte der Sprecher des Koordinationsrates, Erol Pürlü, dem epd. Moscheegemeinden seien unter den ersten und wichtigen Anlaufstellen für Flüchtlinge.
Die Diakonie sieht in der Studie die Bedeutung der Religionen für das soziale Engagement bestätigt. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie würdigte das Engagement muslimischer Mitbürger für Flüchtlinge. Das zivilisierte Gesicht der Religionen bringe "jeden Tag einen kaum zu überschätzenden Beitrag zum sozialen Zusammenhalt und zu einer Kultur des Helfens in unsere Gesellschaft ein", sagte Lilie dem epd. Zudem werde deutlich, "dass es Menschen auch im Islam besonders wichtig ist, sozial Benachteiligten oder gesellschaftlichen Randgruppen zu helfen."
Das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verwies auf das generell große ehrenamtliche Engagement von evangelischen Christen. Nach Auswertungen des Instituts übernehme fast jeder zweite Evangelische mindestens eine freiwillige Tätigkeit, sagte die Sozialwissenschaftlerin Petra-Angela Ahrens. Dass bei dieser hohen Engagementquote Evangelische sich darüber hinaus in der Flüchtlingshilfe engagierten, zeige die große Bedeutung, die der Hilfe für die Integration beigemessen werde.
Mehrheitsgesellschaft braucht Minderheit, um zentrales Problem erfolgreich anzugehen
Als einen Grund für das vergleichsweise hohe freiwillige Engagement für Flüchtlinge unter Muslimen nannte der Münsteraner Sozialethiker Karl Gabriel, dass die Flüchtlinge ebenfalls überwiegend muslimischen Glaubens sind. Hinzu komme bei Muslimen in Deutschland das Potenzial an kultureller und sprachlicher Kompetenz, sagte der katholische Theologe vom Exzellenzcluster Religion und Politik an der Universität Münster. Die Flüchtlingshilfe zeige, dass die Mehrheitsgesellschaft die Minderheit brauche, um ein zentrales Problem erfolgreich angehen zu können.
Zahlenmäßig engagieren sich mehr Christen als Muslime, weil in Deutschland etwa zehn Mal so viele Christen wie Muslime leben. Je näher Menschen an einer Flüchtlingsunterkunft leben, desto größer ist der Bertelsmann-Studie zufolge auch ihre Hilfsbereitschaft. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung empfiehlt mehr interreligiöse Partnerschaften für das Engagement in der Flüchtlingshilfe.
Die Veröffentlichung ist eine Auftaktstudie zum Religionsmonitor 2017. Dafür wurden laut Bertelsmann Stiftung bundesweit 1.500 Menschen befragt, davon zwei Drittel Christen und ein Drittel Konfessionslose. In einer Sonderstichprobe wurden zudem 1.000 Muslime interviewt. Im Religionsmonitor untersucht die Bertelsmann Stiftung die Rolle von Religion und religiöser Vielfalt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.