Zentrale Figur ist ein sogenannter Romeo: Lars Weber (Tom Schilling), Mitte zwanzig, ist vom Ministerium für Staatssicherheit dafür ausgebildet worden, sich in Westdeutschland an alleinstehende Frauen ranzumachen, die als Informantin interessant sein könnten. Als Filmstoff ist das alles andere als neu; Hermine Huntgeburth hat davon bereits 2001 in „Romeo“ (damals mit Martina Gedeck und Sylvester Groth) erzählt. Weil diese Handlungsebene nicht genug Stoff für 270 Minuten bieten würde, gibt es als Dreingabe noch die Historie der DDR, oder richtiger gesagt: Die durch ihre BBC-Reihe „Die Kinder“ über die RAF (1990) bekannt gewordene Autorin sowie Regisseur Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“, „Elser“) führen diverse Prototypen ein, die für verschiedene Perspektiven auf den Arbeiter- und Bauernstaat stehen.
Mit der zentralen Handlung haben diese Figuren allerdings fast nichts zu tun, und nicht alle Ebenen sind ähnlich fesselnd wie die in den ersten neunzig Minuten geschilderten Versuche des jungen Mannes, die Zuneigung der rund zwanzig Jahre älteren Frau zu gewinnen: Lauren Faber arbeitet für den britischen Geheimdienst in der Lauscheinrichtung auf dem Westberliner Teufelsberg. Tom Schilling und die Schwedin Sofia Helin spielen das vorzüglich: wie er sich an sie herantastet, und wie sie, die ältliche alleinerziehende Mutter, sich einerseits zu ihm hingezogen fühlt, andererseits aber vor den eigenen Gefühlen und dem Altersunterschied zurückschreckt und schließlich doch nicht anders kann. Auch die Ausbildung des jungen Mannes wird im Detail beschrieben. Dieser Teil des Films ist fesselnd, berührend und hochinteressant. Eine zweite Ebene soll die Geschichte dagegen offenbar vor allem um einen familiären Aspekt bereichern: Die junge Klara Weber (Stephanie Amarell), Lars’ Cousine, ist ein großes Schwimmtalent und wird in den offiziellen Trainingskader berufen; wenn sie sich durchsetzt, wird sie an den Olympischen Spielen teilnehmen. Ihre Mutter (Anja Kling) ist umgehend Feuer und Flamme, wenn auch vor allem wegen der Hoffnung auf „Westgeld, Reisen, neues Auto“. Vater Conrad (Godehard Giese), desillusionierter Lehrer und Lars’ Onkel, hat dagegen schon längst alle Hoffnung fahren gelassen. Gänzlich nebenher läuft ein Strang mit dem homosexuellen Axel (Hannes Wegener), einem Kollegen Conrads, der dem System die Stirn bietet, sich in einen Engländer verliebt und durch einen Tunnel unter der Mauer fliehen will.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Immerhin sind die darstellerischen Leistungen der Nebenebenen sind nicht weniger sehenswert; Hirschbiegel hat großen Wert darauf gelegt, dass die Schauspieler die gleichen Wurzeln haben wir ihre Figuren. Darüber hinaus imponiert „Der gleiche Himmel“ generell durch die Rekonstruktion der Siebziger (Ausstattung: Bernd Lepel). Das gilt nicht nur für Kleidung, Einrichtung, Musik und das Straßenbild (gedreht wurde in Prag); auch das Lebensgefühl jener Jahre ist verblüffend gut getroffen. Berlin war damals nicht nur Sehnsuchtort gerade der westlichen Jugend, sondern auch Dreh- und Angelpunkt des Kalten Krieges sowie Schauplatz von Spionage und Gegenspionage. Der Rücktritt Willy Brandts oder die Watergate-Affäre sorgen für weiteres Zeitkolorit.
Weil die Romeo-Ebene mitunter spannend wie ein Thriller ist, wirken die filmischen Abstecher nach Ostberlin allerdings wie Unterbrechungen der eigentlichen Handlung, zumal es praktisch keine Verknüpfungen gibt. Der Dreiteiler wirkt, als habe Milne die Vorgabe gehabt, eine Geschichte zu erzählen, in der neben dem „Romeo“-Aspekt auch die Komponenten Stasi, Flucht und Doping eine Rolle spielen sollen. Nebenbei soll die DDR zudem als Unrechtsstaat beleuchtet werden. Dabei genügen kleine Momente, um Stimmungen und Schurkereien zu beleuchten: Lars’ linientreuer Vater Gregor (Jörg Schüttauf) überprüft nach Feierabend gern mal, welche Wohnungen ihre Antennen auf den Westen ausgerichtet haben; und Klara stellt schockiert fest, dass ihr auf Brust und Bauch büschelweise Haare wachsen. Die familiären Verstrickungen und die Bilder aus dem Alltag im Sozialismus legen die Vermutung nahe, das ZDF habe „Der gleiche Himmel“ auch als Antwort auf die unter anderem mit dem Grimme-Preis geehrte ARD-Serie „Weissensee“ konzipiert. Gerade in den Ostszenen sind einige Figuren jedoch nicht nur überflüssig, sondern zudem noch völlig überzeichnet. Dass die Szenen im Westen auch schauspielerisch reizvoller sind, ist nicht zuletzt Ben Becker zu verdanken. Er verkörpert Lars’ Führungsoffizier, einen abgewrackten, mit allen Abwassern gewaschenen Geheimdienstveteranen, so konsequent schurkisch, dass schon allein seine Darbietungen den Dreiteiler sehenswert machen.
Die „Romeo“-Geschichte ist ohnehin auch dramaturgisch ungleich spannender, zumal ein Zwillingsfoto dafür sorgt, dass Lars’ zweiter Auftrag einen fesselnden emotionalen Subtext bekommt: Als Lauren einen Schlaganfall hat und als Quelle ausfällt, soll er sich an ihre junge Kollegin Sabine ranmachen. Dieser Auftrag wird für den Agenten mehr als nur ein Job, was nicht überrascht, denn Friederike Becht (schon in „Nacht der Angst“ oder „Der hundertste Affe“, einem „Tatort“ aus Bremen, positiv aufgefallen) spielt die junge Analystin in der Tat als Frau zum Verlieben. Umso ärgerlicher ist es, dass keine einzige der drei Handlungen zum Abschluss geführt wird: Alle brechen mitten drin ab; der dritte Film endet, als gebe es demnächst eine Fortsetzung. Die Teile zwei und drei zeigt das ZDF Mittwoch und Donnerstag. Heute (23.35 Uhr) und morgen (0.10 Uhr) gibt es zudem eine ergänzende Dokumentation gleichen Titels.