Mit keinem Regisseur hat die österreichische Schauspielerin Julia Koschitz zuletzt so oft gedreht wie mit ihrem Landsmann Johannes Fabrick; "Zweimal lebenslänglich" ist bereits ihr siebter gemeinsamer Film in den letzten fünf Jahren. Leichte Kost ist das meist nicht; in "Der letzte schöne Tag" (Grimme-Preis für Fabrick) verkörpert sie eine Selbstmörderin, in "Pass gut auf ihn auf!" eine unheilbar an Krebs erkrankte Frau, die ihren Mann mit seiner Ex-Frau verkuppeln will.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auch die Hauptfigur der jüngsten Zusammenarbeit muss leiden. Der emotional überaus intensive Film beginnt mit Bildern, die ein glückliches Paar zeigen. Der Schock kommt im Morgengrauen: Polizisten stürmen die Wohnung und nehmen Sebastian (Felix Klare) fest; er steht unter Mordverdacht. "Ich bin gleich wieder da", ruft er seiner Freundin Franziska noch zu, doch daraus wird nichts. Das Drehbuch macht einen kühnen Sprung, die Handlung setzt acht Monate später wieder ein: Sebastian wird aufgrund von Indizien wegen der besonderen Schwere der Schuld zu über zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt; er soll eine Frau vergewaltigt und mit 17 Messerstichen ermordet haben. Franziska ist schockiert. Ihr Freund beteuert seine Unschuld, sie glaubt ihm. Das Urteil trifft sie genauso wie ihn, wodurch sich auch der Titel erklärt.
Die Autorin Katrin Bühlig, unter anderem mit dem Grimme-Preis (für den Dokumentarfilm "Restrisiko") und dem Deutschen Fernsehpreis ("Bella Block: Weiße Nächte") ausgezeichnet, verzichtet konsequent darauf, die Geschichte als Krimi zu erzählen. Kommissare tauchen überhaupt nicht auf, und auch sonst wird nicht ermittelt; es gibt keine Zeugenbefragungen und keine Suche nach Indizien. Details aus dem Prozess werden später nachgereicht, zum Beispiel die nicht unwichtige Tatsache, dass das Opfer Sebastians Geliebte war. Der Film konzentriert sich in erster Linie auf Franziska, die das Urteil nicht akzeptieren will, aber vollkommen machtlos ist. Sebastians Anwalt (Felix Vörtler) strengt zwar eine Revision an, glaubt aber wohl selbst nicht recht daran, bei der Suche nach Rechtsfehlern fündig zu werden. Gerade in der Reduktion der Ereignisse auf die Perspektive Franziskas liegt der große Reiz des Films. Sie klammert sich so sehr an ihren Glauben an die Unschuld ihres Freundes, dass sie ihn sogar im Gefängnis heiratet, um ein Zeichen zu setzen.
Geschickt nutzt Bühlig die Nebenfiguren, um die seelische Einsamkeit der Frau zu verdeutlichen. Ihre furchtbaren Eltern (Maren Kroymann, Holger Mahlich) sind alles andere als eine Hilfe und machen ihr sogar noch Vorwürfe, ihre Arbeitskolleginnen gehen auf Distanz. Gleiches gilt für Sebastians besten Freund (Godehard Giese) der ihm rät, Franziska frei zu geben. Anders als die Frau des verurteilten Mörders glauben die Menschen in ihrer Umgebung nicht an ein Fehlurteil. Aber auch Franziskas unerschütterliche Gewissheit bekommt erste Risse, als sie Julia (Pheline Roggan) kennen lernt. Sie war vor vielen Jahren Sebastians erste große Liebe und beschreibt eine erschreckend düstere Seite des Mannes. Dass er zunächst leugnet, Julia je gekannt zu haben, macht ihn nicht gerade glaubwürdiger.
Effektvoll illustriert Fabrick Franziskas schleichenden Sinneswandel durch Träume, die sich von romantischer Verklärtheit in veritable Nachtmahre verwandeln. Die Bilder, die der Regisseur gemeinsam mit Kameramann Helmut Pirnat gefunden hat, sind ebenso eindrucksvoll wie verstörend und trotzdem nur ein Vorgeschmack auf die Gefühle, die die erste intime Begegnung des Ehepaars im Gefängnis hervorruft: Sebastian scheint die Maske fallen zu lassen. Doch diese Erkenntnis ist nur der vorläufige Schlusspunkt; Bühlig und Fabrick reichen gleich zwei erschütternde Epiloge nach, die das Ende zwar offen lassen, aber die Geschehnisse in ein völlig neues Licht tauchen.
Ähnlich berührend wie die Handlung ist das Spiel von Julia Koschitz. Die ohnehin schmale Schauspielerin wirkt hier noch zierlicher und dank ihrer luftigen bunten Kleidung und dem entsprechenden Make-up sehr mädchenhaft. Sebastian ist Franziskas Traumprinz, er hat ihr als erster Mensch das Gefühl gegeben, wichtig zu sein. Diese von Koschitz jederzeit glaubwürdig verkörperte und fast kindlich anmutende bedingungslose Liebe geht einher mit einer grenzenlosen Arglosigkeit, was die Geschichte umso bitterer macht.