Im Januar wirbelte ein Medientaifun über die Philippinen. Im Zentrum des Sturms standen die Teilnehmerinnen des Schönheitswettbewerbs "Miss Universe", gepriesen als Botschafterinnen einer neuen, schönen Frauenwelt. Höhepunkt des Glitters war ein Empfang der Schönheitsköniginnen bei Rodrigo Duterte im prächtigen Präsidentenpalast Malacañang in Manila. Ob der Präsident seine Finger von den Beauty-Queens lassen konnte, ist nicht überliefert. Schließlich hatte sich auch der 71-jährige mit einem ähnlichen Frauenbild wie US-Kollege Donald Trump seinen Wählern im Wahlkampf 2016 mit sexistischen Bemerkungen erfolgreich angedient.
Der Rummel um Miss Universe war das krasse Gegenstück zur realen Situation von Frauen, besonders von armen, in dem Inselstaat im Pazifik. "Trotz des Pomps und der vermeintlichen Feier von Frauenpower während des 65. Miss-Universe-Wettbewerbs, leben Frauen (…) weiterhin in ihrer unglamourösen und ausgebeuteten Situation", klagt Emmi de Jesus, Parlamentsabgeordnete der philippinischen Frauenpartei "Gabriela". Viele Frauen auf den Philippinen, so de Jesus, seien Opfer von sexistischem Mobbing, von Vergewaltigungen, Belästigungen, schlechterer Bezahlung wegen ihres Geschlechts und von dürftiger medizinischer Versorgung. Und: "Auf den Philippinen werden pro Tag 22 Frauen und Kinder vergewaltigt. Für Arbeiterinnen gibt es nur Gelegenheitsjobs im Niedriglohnsektor", beschreibt de Jesus den Alltag der Mehrheit der philippinischen Frauen.
Es gibt also genügend Ansätze, um die Situation von Frauen auf den Philippinen kritisch zu beleuchten. Einer davon soll hier beispielhaft herausgegriffen werden: "Reproduktive Gesundheit", zu deutsch: das Recht von Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung und den Schutz vor Aids. Damit ist es auf den erzkatholischen Philippinen nicht weit her. Verhütung wird verteufelt, bei Sexualaufklärung herrscht Fehlanzeige, Scheidungen sind illegal und Abtreibungen erst recht.
Nichtsdestotrotz sind zahlreiche Abtreibungen aber die Realität auf den Philippinen. Schätzungsweise mehr als 600.000 Mädchen und Frauen treiben jährlich illegal ab. Mehr als 100.000 dieser Frauen werden nach dem Eingriff wegen schwerer Blutungen in Krankenhäuser eingeliefert. Und drei Frauen sterben pro Tag an den Folgen stümperhaft durchgeführter Abtreibungen: Weil Abtreibungen illegal sind, müssen die Frauen ihr Heil bei Quacksalbern suchen. Der Schwarzmarkt für Abtreibungsmedikamente und zweifelhafte Kräutermischungen von Wunderheilern befindet sich ironischerweise besonders in den engen Gassen rund um die Kirche in Manilas Stadtteil Quiapo, die eines der größten Heiligtümer der katholischen Philippinen ist.
"Wir haben keine Verhütungsmittel, also können wir sie auch nicht benutzen."
Jinky ist ein mutiges Mädchen. Die 15-jährige aus Tondo, einem Slum in Manila, der als der größte Südostasiens gilt, hat sich 2016 für Dokumentarfilm "Backstreet Abortions in the Philippines: Year of Mercy" der Filmemacherin Jo Fuertes-Knight interviewen lassen. Obgleich sich der Teenager in dem gelben T-Shirt im Interview mit Fuertes-Knight als "schüchtern" beschreibt, zumindest wenn es um die Frage geht, ob sie mit Jungs über Sex spricht. Jinky ist aber schon seit einigen Jahren sexuell aktiv. Es kam, wie es kommen musste: sie wurde schwanger. "Die Schwangerschaft hat mich überrascht", gesteht Jinky. Sie hätte gerne abgetrieben. "Aber mein Vater hat mir eine Abtreibung verboten", sagt sie in dem Interview. Jinky ist kein Einzelschicksal. Eine von zehn Philippinerinnen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren ist schwanger oder bereits Mutter.
Bei den Jungs in Jinkys Alter ist die Situation ähnlich. "Sprecht ihr untereinander über Sexualität?" fragt Fuertes-Knight vier Jungs am Rande eines Basketballfelds. Die Jungmänner drucksen herum, schauen einander verlegen an, bis einer den Mund aufkriegt und sagt: "Nein. Das Thema ist zu peinlich." Die Antworten auf die Frage, ob sie beim Sex Verhütungsmittel benutzen, reichen von "Nein" über "Selten" bis zu der klaren Aussage: "Wir haben keine Verhütungsmittel, also können wir sie auch nicht benutzen." Also Abtreibung, wenn das Mädchen schwanger wird? Auch darauf ist die Antwort erschreckend klar: "Das würden wir nicht zulassen. Das ist eine schwere Sünde."
Nun wurde aber nach über 14 Jahren kontroversester Debatten 2012 das Gesetz über reproduktive Gesundheit beschlossen, zur Freude der mehr als 70 Prozent der Einwohner der Philippinen, die laut Umfragen für das Gesetz waren und es bis heute sind. Damit schien endlich der Weg frei für Sexualaufklärung an Schulen, für Müttergesundheit, für die staatliche Abgabe von Verhütungsmitteln an Frauen aus den armen Schichten, denen ein Viertel der rund 100 Millionen Philippiner angehören. Die Freude war verfrüht. Durch Interventionen der katholischen Kirche und ihrer Verbündeten in Politik und Justiz ist die Umsetzung des Gesetzes weitgehend blockiert. Das Mantra der Bischöfe: Sexualaufklärung und Kondome fördern die Promiskuität.
Die im "Nationalen Kirchenrat der Philippinen" (NCCP) zusammengeschlossenen protestantischen Kirchen sind entschiedene Befürworter des Gesetzes über reproduktive Gesundheit. Im "Geist des Gesetzes" gehe es um das "Recht" von Paaren, ihre "Familienplanung selbst zu gestalten", betonte schon 2012 Reverend Rex Reyes, Generalsekretär des NCCP. Die protestantischen Kirchen – darunter die Lutheraner und Anglikaner – warnen allerdings davor, in der Senkung des rapiden Bevölkerungswachstums auf den Philippinen das Allheilmittel gegen die grassierende Armut zu sehen, wie es sowohl die Vereinten Nationen als auch manche Nichtregierungsorganisationen tun. Der NCCP betont: "Die Überbevölkerung ist nicht der einzige Grund, warum so viele Philippinos arm sind. Wir müssen auch für eine anständige und gerechte Verteilung unserer Ressourcen sorgen, denn wir sind ein reiches Land."
Auf den Philippinen steigt die Zahl der HIV-Infektionen immer noch stark an
Als Präsident Rodrigo Duterte vor kurzem den Weg zur Verteilung von Kondomen an Schulen frei machen wollte, applaudierte der NCCP. Kondome förderten keineswegs die Promiskuität, sondern seien "ein Instrument der Aufklärung" zur Förderung von "Gesundheit und Ehrlichkeit in sexuellen Beziehungen", hieß es in einer Ende Januar veröffentlichten Erklärung des NCCP. Für die Protestanten sind Kondome zudem ein zentrales Element gegen die Aidskrise auf den Philippinen. 62 Prozent der 55 000 HIV-Neuinfektionen im Jahr 2016 Jahr wurden laut der Nationalen Jugendkommission (NYC) bei Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren diagnostiziert. Die NYC zeigte sich "alarmiert über den beispiellosen Anstieg der HIV-Infektionen unter jungen Leuten." Die Philippinen sind eines der sehr wenigen Länder, in denen die Zahl der HIV-Infektionen immer noch stark ansteigen. "Im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt nimmt die Aids-Epidemie auf den Philippinen rapide zu", warnt die Aidshilfe der Vereinten Nationen (UNAIDS). In der Erklärung des NCCP heißt es: "Angesichts dieser schnell wachsenden Epidemie ist eine umfassende Strategie aus Zugang zu Präventionsmöglichkeiten, medizinischer Behandlung und Fürsorge notwendig, um HIV unter Kontrolle zu bringen."
Eine Umsetzung des Gesetzes über reproduktive Gesundheit ist nicht in Sicht. Das wurde aus dem Parlament und aus Dutertes Regierung selbst torpediert. Die HIV-Neuinfektionszahlen werden weiter steigen. Mädchen wie Jinky werden weiter ungewollt schwanger, weil sie nichts über Verhütung wissen dürfen und die Jungs kein Geld haben, um Kondome zu kaufen – vorausgesetzt, sie wüssten etwas über ihre Verantwortung beim Sex. In dem Dokumentarfilm erzählt eine heute 16 Jahre alte Frau anonym, dass sie mit 13 zum ersten Mal abgetrieben hat. Als sie bereits im dritten Monat schwanger war, bestanden ihre Eltern auf einer Abtreibung. Die Mutter besorgte ihr auf dem Schwarzmarkt ein Abtreibungsmedikament. Nach der Abtreibung hat sie ihren toten Sohn kurz in den Armen gehalten. "Er war winzig, aber schon vollständig", sagt sie. "Ich habe seine Augen, Nase, Mund gesehen. (…) Ich habe ihn vor einer katholischen Kirche begraben. Ich wollte, dass Gott mein Kind sehen kann."