Wenn eine Reihenhauptfigur bereits eingeführt, in den Köpfen der Zuschauer aber längst noch nicht so präsent ist wie etwa ein populärer "Tatort"-Ermittler, stehen Autoren regelmäßig vor der immer wieder gleichen Frage: Wie können sie die Person vorstellen, ohne jene zu langweilen, die sich noch gut an den letzten Film über "Die Füchsin" (Dezember 2015) erinnern, und ohne die anderen zu überfordern, die der ehemaligen Stasi-Agentin zum ersten Mal begegnen? Da sich ein schnödes "Was bisher geschah" nicht zuletzt aus Gründen der Autorenehre verbietet, müssen die Informationen beiläufig einfließen. Gleichzeitig soll aber von Beginn an Interesse für die Figur geweckt werden; eine Gratwanderung, die nur wenige wirklich beherrschen. Ralf Kinder (Buch) und Samira Radsi (Regie) versuchen in ihrer zweiten Episode der noch jungen ARD-Krimireihe den Mittelweg: Der Film beginnt wie ein Thriller und zeigt Titelheldin Anne Marie Fuchs (Lina Wendel) bei einem Einbruch, aber wer die Frau ist und was sie im Büro ihres früheren Führungsoffiziers Ruhleben (Torsten Michaelis) gesucht hat, geben sie erst später preis.
Als nächstes wird die zweite Hauptfigur eingeführt: Youssef (Karim Chérif) betrachtet sich als Kompagnon der Füchsin, seit sie gemeinsam einen Fall gelöst haben, und hat bereits Visitenkarten drucken lassen, aber die Frau ist eine typische Einzelgängerin und lässt sich nur deshalb auf die Zusammenarbeit ein, weil Youssefs Frau Simone (Jasmin Schwiers), die Wirtin ihres Stammcafés, sie darum bittet. Auch Youssef ist als Figur nicht uninteressant: Der Mann mit den arabischen Vorfahren ist eine Mimose und ständig darauf aus, seine Mitmenschen bei Vorurteilen zu ertappen. Im wirklichen Leben wäre so jemand eine furchtbare Nervensäge, im Fernsehfilm soll er selbstredend komisch zu sein, was tatsächlich funktioniert, weil Karim Chérif ein sympathischer Typ ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auch die Geschichte ist nicht uninteressant. Handlungsrahmen ist der rheinische Tagebau, ein heißes Eisen im westlichen Teil Nordrhein-Westfalens, weil den gefräßigen Braunkohlebaggern ganze Gegenden und mit ihnen die dortigen Dörfer zum Opfer fallen. Dummerweise ist Youssefs erste Klientin verstorben, bevor sie ihm erzählen konnte, warum sie ihn engagieren wollte. Weil er damit wirbt, dass der erste Ermittlungstag ohnehin gratis sei, überzeugt ihn die neugierig gewordene Anne Marie, dem gewaltsamen Tod der Frau nachzugehen. Sie finden raus, dass sie ihr Haus kürzlich an den Schwiegersohn verkauft hat, ein eigentlich absurder Vorgang, denn das gesamte Dorf soll demnächst dem Erdboden gleich gemacht werden; und das ist nur der Auftakt zu einem veritablen Immobilienskandal.
Fast alle TV-Reihen orientieren sich mittlerweile an einem Muster, das einen sich über mehrere Episoden erstreckenden horizontalen Erzählstrang mit einer in sich abgeschlossenen Geschichte kombiniert. Das ist bei "Die Füchsin" nicht anders: Anne Marie hat viele Fragen, die ihre Vergangenheit betreffen, als sie für die Stasi im Westen spioniert hat, und die Antworten erhofft sie sich von Ruhleben. Die Kombination der beiden Ebenen zu einem schlüssigen Erzählfluss ist allerdings eine Herausforderung, die auch diesmal nicht recht gelingt, und dass Ruhleben seine vietnamesische Schlägerin auf die Füchsin ansetzt, ist wenig plausibel und geschieht allein aus Gründen der Spannungssteigerung. Im Unterschied zu dramaturgisch ähnlich konzipierten Donnerstagsreihen (etwa "Der Bozen-Krimi") ist die lineare Erzählebene immerhin nicht doppelt so interessant wie der aktuelle Fall, im Gegenteil; das Stasi-Thema poppt immer wieder unvermutet auf, ansonsten dreht sich der Film um die rätselhaften Todesfälle in der Nähe des Tagebaus, denn kurz nach der Auftraggeberin stirbt auch ihr Schwiegersohn.
Lina Wendels sparsames Spiel ist erneut sehenswert, die Kombination mit Chérif ist reizvoll, und die Szenen im Kieswerk des Schwiegersohns haben Radsi und Kameramann Guntram Franke in gleißendes Westernlicht getaucht. In manchen Momenten beweist die Regisseurin ihr Gespür für lakonischen Humor, einige Passagen wirken dank des flotten Schnitts und der entsprechenden Musik sehr modern; eine albtraumartige Szene, in der Ruhleben wie ein Hütchenspieler Kindersärge vertauscht, ist in jeder Hinsicht eindrucksvoll. Die Dialoge gerade zwischen Youssef und Anne Marie sind wirklich hübsch, und ihre coolen Auftritte als Hochstaplerin sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch ein Beleg für Wendels Wandlungsfähigkeit. Insgesamt jedoch ist "Spur auf der Halde" trotz des Nervenkitzels am Schluss, als das ungleiche Gespann dem Tod geweiht zu sein scheint, für einen Krimi etwas spannungsarm.