Der wunderbar widersprüchliche Titel bringt das Lebensgefühl dieses Dokumentarfilms von Doris Dörrie perfekt auf den Punkt. "Dieses schöne Scheißleben" ist eine Zeile aus einem der vielen Lieder, die in diesem Film erklingen. Die Regisseurin hat in Mexiko-City sechs Wochen lang Mariachi-Sängerinnen beobachtet und begleitet. Mariachi ist nicht nur typischer Bestandteil der mexikanischen Kultur, sondern auch Ausdruck des Lebensgefühls. Die meist aus bis zu einem Dutzend Gitarristen, Geigern und Bläsern bestehenden Orchester decken mit ihren Liedern die ganze Bandbreite des Daseins ab; aber meistens geht es um Liebe und Tod.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ebenso facettenreich ist Dörries Film, der ohne ein Wort des Kommentars auskommt und trotzdem eine Vielzahl von Geschichten erzählt. Da sich die dank ihrer Kinohits von "Männer" (1985) bis "Kirschblüten – Hanami" (2007) vermutlich erfolgreichste deutsche Regisseurin auf die weibliche Seite des Mariachi konzentriert, bekommt der Film eine zusätzliche Note: Die Kapellen werden traditionell von Männern dominiert. Den Gesang übernehmen zwar häufig Frauen, doch sobald sie heiraten und Kinder bekommen, ist die Karriere beendet.
Dörrie hat unter anderem die Combo "Las Pioneras de Mexico" besucht, die Vorreiterinnen des weiblichen Mariachi. Mit spürbarem Stolz sprechen die alten Damen über ihren musikalischen Werdegang, aber auch über viele andere Dinge des Lebens. Zentrale Figur ist die junge Sängerin María del Carmen, Star des Films ist jedoch die Musik; "Dieses schöne Scheißleben" ist eine bedingungslose Mariachi-Liebeserklärung.
Doris Dörrie, die regelmäßig Dokumentarfilme in ihre Filmografie einstreut (allen voran das Entschleunigungsplädoyer "How to Cook Your Life", 2007), hat mit ihrem nur aus Kamera- und Tonmann bestehendem Team viel Zeit auf der Plaza Garibaldi verbracht, wo an Wochenenden Hunderte von Mariachi die Passanten mit der immer wieder gleichen Frage konfrontieren: "Willst du ein lustiges oder ein trauriges Lied?". Da die Darbietungen ausnahmslos untertitelt sind, merkt man rasch: In den lustigen Liedern geht es fast immer um Liebe, in den traurigen - in Form von Liebeskummer - eigentlich auch. Dörrie schildert das bunte Treiben mit sympathischer Offenheit und Neugier, aber sie klammert auch die Schattenseiten dieser von Armut und Drogenkrieg geprägten Welt nicht aus. Höhepunkt des Films ist der "Día de los Muertos", die mexikanische Variante des hiesigen Allerheiligen, ein fröhliches und oft bizarres Totenfest; fast hat man das Gefühl, Mariachi sei für diesen Tag erfunden worden.