Mit dem dritten Teil hat sich die Reihe "Eifelpraxis" endgültig als ernstzunehmende Bereicherung des ARD-Freitagsfilms etabliert. Es ist Autorin Brigitte Müller erneut ausgezeichnet gelungen, rund um die von Rebecca Immanuel nicht nur sympathisch, sondern auch jederzeit glaubwürdig verkörperte Hauptfigur ein Kaleidoskop unterschiedlicher Geschichten zu entwerfen, die diesmal ausnahmslos dramatischen Charakter haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zentrale Figur der Handlung ist der junge Felix (Ludwig Simon), ein Mitschüler von Paul (Tom Böttcher), dem Sohn von Versorgungsassistentin Vera Mundt (Rebecca Immanuel). Im letzten Film hatte Felix vor allem amüsante Auftritte, weil er die Mutter seines Freundes hemmungslos anschwärmte. Ähnlich unbeschwert beginnt auch "Väter und Söhne", aber weil Vera auffällt, dass der Junge zu Nasenbluten neigt, nimmt sie ihn in die Praxis ihres Chefs (Simon Schwarz) mit. Der wiederum schickt Felix umgehend in Krankenhaus. Die Diagnose ist erschütternd: Felix leidet unter einer speziellen Spielart von Anämie, er braucht dringend so schnell wie möglich eine Knochenmark- oder Stammzellenspende. Die Eltern kommen nicht in Frage, zumal sich bei der Untersuchung rausstellt, dass Felix’ Vater Klaus (Kai Scheve) unmöglich der Erzeuger sein kann. Als die Datenbanksuche einen statistisch höchst unwahrscheinlichen Treffer ganz in der Nähe ergibt, ist der Fall natürlich klar: Der von den Jugendlichen bloß "Waldschrat" genannten Einsiedler Jakob (Dirk Borchardt) wird wohl auch der leibliche Vater sein. Wie immer in Geschichten dieser Art haben die Eltern den richtigen Zeitpunkt verpasst, ihren Sohn über die frühere Beziehung zwischen Mutter Claudia (Deborah Kaufmann) und Jakob ins Benehmen zu setzen. Felix wiederum, der sich von Klaus und Claudia ohnehin ungeliebt fühlt, ist begeistert: Jakob wird ihm nicht nur ein zweites Mal das Leben schenken, er entpuppt sich auch als ein von Felix verehrter Fantasy-Autor. Für ein Happy End ist es jedoch noch zu früh: Jakob hat die Trennung von Claudia bis heute nicht verarbeitet und ertränkt seinen Kummer alltäglich in viel Alkohol. Er versucht einen kalten Entzug, der selbstredend scheitert. Ausgerechnet am Tag der Spende, Felix’ Immunsystem ist schon runtergefahren, ist Jakob verschwunden.
Bissige Dialoge sind eine willkommene Abwechslung
Christoph Schnee, der auch "Eine Dosis Leben" gedreht hat, erzählt die Geschichte als das Drama, das es auch ist. Die entsprechende Spannung resultiert natürlich auch aus der Inszenierung, aber großen Anteil an der Wirkung der entsprechend berührenden Szenen hat Ludwig Simon, der den Jungen ganz fabelhaft spielt; seine Unbeschwertheit ist ebenso glaubwürdig wie die Momente, in denen Felix am Boden zerstört ist. Ähnlich gut ist erneut Tom Böttcher als Veras Sohn Paul, denn er ist der andere junge Mann, auf den der Titel anspielt: Wie aus dem Nichts steht plötzlich sein Vater (Jan Sosniok) vor der Tür. Michael hatte die Familie nach der Geburt von Pauls kleiner Schwester Mia (Mascha Schrader) verlassen, weil ihm das alles zuviel wurde. Der Grund seines Besuchs weckt in Vera die blanke Wut: Michael bietet Paul an, zu ihm nach Berlin zu ziehen. Der lehnt zunächst entrüstet ab, besinnt sich dann jedoch eines Besseren, als es zum handfesten Krach mit seiner Mutter kommt, weil er einem Schulrowdy, der ständig Mia mobbt, einen Kinnhaken verpasst hat.
Die Verknüpfung dieser Handlungsstränge ist Müller und Schnee sehr gut gelungen. Mühelos wechselt der Film von einer Ebene auf die andere, die Übergänge sind stets schlüssig. Die romantischen Momente sind nicht minder geschickt integriert, denn nach und nach rückt auch die schon in "Eine Dosis Leben" angedeutete Romanze zwischen Vera und dem attraktiven Unbekannten (Ralph Herforth) aus dem letzten Film stärker in den Vordergrund. Es ist ein hübsches Aha-Erlebnis, als Vera im Krankenhaus auf Henning trifft: Der Mann ist Internist und übernimmt die Behandlung von Felix. Außerdem kennt er Chris, Veras Chef, aus einer gemeinsamen Zeit bei "Ärzte ohne Grenzen". Dass die beiden nicht gut aufeinander zu sprechen sind, erhöht den Reiz der Konstellation, denn beide buhlen um Veras Gunst. Ein zufälliges Aufeinandertreffen in einem Lokal ist mit seinen ausgesprochen bissigen Dialogen eine willkommene Abwechslung zu der Dramatik, von der die Geschichte über weite Strecken geprägt ist.
"Alles Gute kommt zurück"
Im Vergleich zu den ersten beiden Episoden ist "Väter und Söhne" ohnehin stellenweise starker Tobak. Wer nicht hinschauen kann, wenn im Film Spritzen verabreicht werden, wird bei den verschiedenen Punktionen einige Male wegsehen müssen. Ähnlich konsequent sind die Szenen mit Jakobs Entzugsymptomen; Schnee und Borchardt beschönigen nichts. Der Schauspieler ist eine treffende Wahl für diesen Mann, der von seinem Vaterglück nichts geahnt hat. Aus dem Rahmen des auch ansonsten sehenswerten Ensembles fällt allein Deborah Kaufmann, die das Pech hat, immer als Opfer oder Zicke besetzt zu werden, und auch hier aus jedem Auftritt ein Drama macht. Etwas zu kurz diesmal Janek Rieke als Schulleiter, der bislang ebenfalls ein Kandidat für Veras Herz war, seine Chancen aber verspielt, als den Rowdy und seinen Kumpan nicht etwa umgehend von der Schule verweist, sondern die beiden bloß vorübergehend suspendiert; die Szene, in der die beiden Schüler die kleine Mia an den Füßen über ein Geländer halten, geht ähnlich an die Nieren wie die Punktionsaufnahmen. Kein Wunder, dass Mia Vogelbeeren isst, um nicht zur Schule zu müssen.
Ähnlich inkonsequent wie der Rektor ist allerdings auch Autorin Müller, zumindest in Bezug auf Veras Kollegin Anita (Olga von Luckwald): Im letzten Film war die anfangs kratzbürstige Sprechstundenhilfe fast zur Freundin geworden, nun möchte sie Vera lieber heute als morgen wieder loswerden. Die polnische Haushaltshilfe Danuta (Karolina Lodyga) ist dagegen nur noch eine Nebenfigur, aber immer noch Veras Vertraute und nach wie vor stets für eine Lebensweisheit gut. Sie ist es auch, der "Väter und Söhne" sein Motto verdankt: "Alles Gute kommt zurück." Die kurzen Freundschaftsmomente gehören zu den wenigen Szenen, in denen es nicht dramatisch zugeht, weshalb die Kapiteltrenner mit den Bildern vom Himmel über Eifel diesmal nicht nur Augenfutter sind, sondern im Zusammenspiel mit der unaufdringlich schönen Musik der kurzzeitigen Entspannung dienen.