Pro und Contra: Müssen Christen Vegetarier sein?

Hände mit Messer und Gabel neben einem leeren Teller.
Foto: Fotolia/Bits and Splits/Igor Stevanovic
Pro und Contra: Müssen Christen Vegetarier sein?
Sollten Christen vegetarisch leben? Eine Pro-Contra-Diskussion zum Fleischessen.

Pro: Die Liebe gilt der ganzen Schöpfung

Laut Statistik sind Vegetarier in Deutschland deutlich in der Minderheit - auch unter Christen. Die Bibel scheint mir hier als Verbündete zunächst auch nicht weiterzuhelfen: An vielen Stellen wird beschrieben, dass Tiere geopfert werden, einige Jünger waren Fischer und Jesus hat auch Tiere gegessen. Das war in seiner Zeit schließlich üblich. Vegetarismus kommt in der Bibel nicht vor.

Allerdings ist die Bibel auch voller Verweise, die zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit allen Geschöpfen auffordern - sogar Impulse enthalten, die zu einer vegetarischen Lebensweise ermutigen. Zum Beispiel: "Der Gerechte erbarmt sich der Tiere; denn nur das Herz der Gottlosen ist den Tieren gegenüber unbarmherzig" (Sprüche 12,10). Die Bibel gibt uns darüber hinaus einen Denkanstoß, wenn sie selbst Tiere in der Schöpfungsgeschichte utopisch als Vegetarier zeichnet (Gen 1,30) oder im zukünftigen Friedensreich keine Raubtiere mehr kennt (Jes 65,25).

Zugegeben: Im Bibelstellen-Ping-Pong würde ich als Vegetarierin wohl einen schweren Stand haben. Und dennoch glaube ich, dass ich wegen der christlichen Grundprinzipien wie Barmherzigkeit, Fürsorge, Achtung vor dem Leben und Verantwortungsbewusstsein der gesamten Schöpfung gegenüber gute Argumente für eine fleischfreie Lebensweise habe.

Christin zu sein bedeutet für mich, mit offenem Blick die Welt zu sehen, in der ich heute lebe - sie mit wachsamem Geist wahrzunehmen. Ich will mit liebevollem Herz meinen Mitmenschen und eben auch der gesamten Schöpfung Gottes, also auch den Tieren, begegnen und entsprechend verantwortungsbewusst handeln.

Fleischkonsum geht mit viel Grausamkeit einher. Die Fakten sind unbestritten: Wir wissen heute, durch zahlreiche Studien belegt, dass Tiere fühlen können. Es gibt Videos von Kühen, die scheinbar Luftsprünge vor Freude machen, weil sie endlich wieder raus auf die frische Weide dürfen. Es gibt auf Youtube grausame Videos von Hunden, die in China geschlachtet werden. Sie jaulen und jammern herzerweichend.

Apropos, dort in Asien werden Hunde gegessen, in Frankreich auch mal Pferde, bei uns vor allem Schweine und Geflügel. Es ist kulturelle Prägung, in welchem Land es üblich ist, welche Tiere zu essen. Doch auch Schweine sind wie Hunde intelligente Tiere mit eigenem Charakter. Sie haben nur leider kein so kuscheliges Streichel-Fell, daher fällt es uns wohl leichter sie lediglich als Schlachtvieh anzusehen, dem in der Regel ohne Betäubung Schwänzchen und Hoden abgeschnitten werden.

Die Lebensbedingungen sind eher katastrophal als artgerecht

So finde ich es nicht nur grausam, dass man den Tieren das Leben nimmt - noch schlimmer finde ich die damit einhergehende Massentierhaltung. Sie bedeutet qualvolle, lebensunwürdige Bedinungen, unter denen die Tiere ihr ganzes Leben lang leiden, bevor dann der fast schon erlösende Tod kommt.

Es ist bekannt, dass Kühen in der Milchproduktion direkt nach der Geburt die Kälbchen entrissen werden und die beiden dann kläglich nacheinander blöken, sich suchen und sich nicht finden. Eine Milchkuh macht das im Schnitt vier- bis fünfmal durch in ihrem Leben, also etwa einmal pro Jahr, bevor sie nicht mehr genug Milch gibt und geschlachtet wird. Sie sieht in ihrem ganzen Leben nie das Tageslicht, steht nie auf einer Weide.

Manchmal denke ich, ich müsste konsequent vegan leben. Denn auch in den allermeisten (Bio-)Fleisch, Milch und Eierproduktionsbetrieben sind die Lebensbedingungen eher katastrophal als artgerecht. Die Vorstellung von "glücklichen" Tieren in der Bioproduktion, die erst ein schönes Leben haben, bevor es zum Schlachter geht, ist naiv. Außerdem haben Studien gezeigt, dass die Umwelt durch die industrielle Tierhaltung massiv belastet wird - weitaus mehr, als wenn Menschen Pflanzliches essen würden.

In der Schöpfungsgeschichte steht: "Ich setze euch (Menschen) über die Fische im Meer, die Vögel in der Luft und alle Tiere, die auf der Erde leben, und vertraue sie eurer Fürsorge an" (1.Mose 1,28). Wie können wir dieser Aufgabe gerecht werden? Meiner Meinung nach sollten wir uns aus christlicher Perspektive dafür einsetzen, dass Massentierhaltung verboten und noch mehr Bewusstsein dafür geschaffen wird, mit wie viel Gewalt der Konsum tierischer Produkte einhergeht.

Menschen, die Fleisch essen, verdrängen gerne das Leid, das damit zusammenhängt. Ich finde, Christinnen und Christen sollten hier achtsam sein und ihren Genuss nicht über den Wert des Lebens ihrer Mitgeschöpfe stellen.

Sarah Salin, freie Journalistin


Contra: Vegetarier sein ist die letzte unserer Sorgen

Haben Sie schonmal ein Tier in der Schlachtfabrik sein letztes Lebenszeichen auszappeln sehen? Nein? Kein Problem, kann man auf YouTube machen, sogar in 360 Grad: Hier Hühner, hier Schweine (ab 18). Ich schaue mir diese Videos an und finde diese Art der Tierhaltung quälerisch. Aber ich esse trotzdem Fleisch.

Als Christen müssen wir nicht mehr oder weniger Vegetarier sein als andere Menschen. Vegetarier zu sein ist eine Entscheidung, die mit christlichen oder biblischen Vorgaben nichts zu tun hat. Erstens haben die Menschen in biblischen Zeiten ganz selbstverständlich Fleisch gegessen, weil das in der Geschichte der Menschheit die allermeiste Zeit auf dem Speisepan stand. (Es gibt sogar Ernährungsphilosophien im "Paläo"-Bereich, die hauptsächlich auf Fleisch setzen.)

Zweitens ist die Bibel für Christen heute kein Anleitungsbuch, dem man eins zu eins folgen kann oder sollte. Die Essensvorschriften, die es in der Bibel gibt, hat Jesus schon gebrochen, und Christen ignorieren sie heute auch. Die Fastenzeit ist ein gutes Beispiel: Von den strengen Ernährungsregeln hat sie sich in eine Zeit der Besinnung auf sich selbst und das eigene Handeln gewandelt. Man muss vor Ostern nicht fasten, um Christ zu sein. Aber Christen machen das besonders gern, weil es zu ihrer Tradition gehört. So ähnlich ist es auch beim Vegetarismus.

Jeder Christ muss und darf selbst wählen, auf welche Weise er oder sie ihrer Verantwortung in der Welt gerecht werden möchte. Kein Fleisch zu essen ist eine Variante, zur Bewahrung der Schöpfung beizutragen. Denn dass Massentierhaltung schlecht für die Umwelt ist - von Grundwasserbelastung bis zu Antibiotika-Resistenzen - ist unbestritten. Was uns als Christen ausmacht, ist aber vor allem, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Ich würde lieber einem Hungrigen ein Mittagessen mit Fleisch servieren als ihn belehren, dass er keine Tiere essen dürfe. Tierliebe in allen Ehren, aber wenn ich die Wahl habe zwischen den Sorgen der Menschen und den Nöten der Tiere, kümmere ich mich zuerst um den Menschen.

Eine Verpflichtung zum Vegetarier sein haben Christen nicht

Was trotzdem gar nicht geht, ist, komplett unachtsam durchs Leben zu gehen. Wir müssen mindestens wissen, was wir tun. Das gilt auch für Fleischkonsum. Man muss akzeptieren, dass Tiere dafür getötet werden, in Schlachthäusern oft auch auf unmenschliche Art und Weise. Wer - wie ich - gerne Fleisch isst und deswegen kein Vegetarier sein will, kann aber darauf achten, wie viel und welches Fleisch er isst. Man braucht nicht zu jeder Mahlzeit Schnitzel oder Wurst.

Weniger Fleisch essen ist die einfache Variante. Wer es sich leisten kann, kann auch darauf achten, Biofleisch zu kaufen oder sogar Weideschlachter zu unterstützen. Rinder aus der Herde direkt auf der eigenen Weide zu erschießen, ist in den letzten Jahren als stressarme Schlachtung populärer geworden - auf der schwäbischen Alb, in Schleswig, im Allgäu oder in Forch. Solches Fleisch ist deutlich teurer als das Supermarkt-Rind und nicht für jeden erschwinglich oder überhaupt regional verfügbar. Aber ist trotzdem eine gute Alternative zu Massentierhaltung, Tiertransporten und Industrieschlachthaus.

Übrigens muss man sich auch Vegetarismus leisten können. Freiwillig auf tierisches Protein zu verzichten, ist ein westlicher Luxus. Das geht nur deswegen, weil wir in Europa im Überfluss leben und kalorienhaltige Nahrungsmittel oder sogar Ersatzprodukte reichlich vorhanden sind. Auch das ist ein Zeichen von (gesellschaftlichem) Reichtum.

So bleibt es also jedem Christen überlassen, wie er oder sie über bewussten Fleischkonsum einen kleinen oder großen Teil zur Bewahrung der Schöpfung beiträgt - aber eine Verpflichtung zum Vegetarier sein haben Christen nicht.

Hanno Terbuyken, Portalleiter von evangelisch.de