Interessant ist zudem, dass mit Silke Bodenbender die einzige wirklich populäre Mitwirkende bloß in einer Nebenrolle zu sehen ist. Und schließlich ist auch das bisherige Schaffen von Emily Atef überschaubar; "Wunschkinder" ist erst ihre fünfte Regiearbeit seit 2005. Mit dem Mutterdrama "Das Fremde in mir" (2008) hat die Regisseurin allerdings längst bewiesen, wie ausgezeichnet sie es versteht, in die Gefühlswelten ihrer Figuren einzutauchen. Dass die zwei wichtigsten Rollen in "Wunschkinder" nicht von Stars, sondern von Victoria Mayer und Godehard Giese gespielt werden, kommt dem Film sogar entgegen: weil die Darsteller der Handlung nicht im Weg stehen. Abgesehen davon machen die beiden ihre Sache vorzüglich.
Schöns Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Marion Gaedicke und erzählt die Geschichte eines ganz normalen Ehepaars. Die Handlung beginnt 1999: Marie und Peter wähnen sich bei der dritten künstlichen Befruchtung endlich am Ziel ihrer Wünsche; aber dann stirbt das Baby gegen Ende des ersten Schwangerschaftsdrittels. Da Peter mit 43 Jahren für die Adoption eines deutschen Kindes nicht mehr in Frage kommt, bemühen sie sich mit Unterstützung des Jugendamtes um ein russisches Kind. Tatsächlich findet sich mit der zehn Monate alten Nina ein kleiner Sonnenschein, in den sich Marie und Peter nach einer beschwerlichen Reise auf Anhieb verlieben. Ihr Glück scheint perfekt, doch dann scheitert die Adoption an einem Formfehler. Es gibt nur eine Möglichkeit: Sie müssen die Entscheidung des Gerichts bei der nächsthöheren Instanz in Moskau anfechten, aber das ist noch nie gelungen. Dass Peter bereit wäre, mit einem "Ersatzkind" vorlieb zu nehmen, empfindet Marie als Verrat an Nina; zum ersten Mal gibt es einen Riss in der Beziehung, die bis dahin allen Widrigkeiten getrotzt hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Atef erzählt die bewegende, aber nie sentimentale oder gar kitschige Geschichte gänzlich unspektakulär, dafür jedoch mit großer Empathie für ihre Hauptfiguren. Interessant ist auch die Rolle für Silke Bodenbender: Sie spielt eine Frau, Sandra, die mit ihrem Lebensgefährten (Arnd Klawitter) ebenfalls ein Kind adoptieren will. Die beiden Paare begegnen sich bei einer Informationsveranstaltung des Jugendamtes und freunden sich an. Für Peter und Marie hat sich das Verfahren zunächst erledigt, als Marie schwanger wird; Sandra tut gar nicht erst so, als würde sie sich mit ihr freuen. Ähnlich gelungen sind die in Polen entstandenen Russlandszenen. Das Ehepaar trifft auf die herzensgute Mitarbeiterin (Jana Lissovskaja) eines einheimischen Adoptionsvereins, die als Dolmetscherin fungiert und die beiden nach Leibeskräften unterstützt. Gegenstück ist die Richterin, die ihren Antrag abschmettert. Sie ist die einzige Figur, bei der Atef übers Ziel hinausgeschossen ist; die Frau wirkt wie die Gulag-Aufseherin eines drittklassigen Films aus der Zeit des Kalten Krieges. Sehr lebensnah und ausgesprochen gelungen sind dagegen die Begegnungen mit den Kindern.
Wie sorgfältig und durchdacht Atefs Umsetzung ansonsten ist, zeigen zwei Einstellungen mit identischer Kamerafahrt: Als der Frauenarzt (Ercan Durmaz) Marie bei der Ultraschalluntersuchung eröffnet, dass ihr Baby tot ist, zieht sich die Kamera (Alexander Fischerkoesen) diskret zurück. Später nimmt Atef den niederschmetternden Urteilsspruch vorweg, als Marie und Peter längst eine Einheit mit der kleinen Nina bilden, die Kamera sich jedoch auf gleiche Weise von der Familie entfernt. Nach der Urteilsverkündung beginnt der dritte Akt: die Vorbereitung des Verhandlungstermins in Moskau. "Das Warten ist das Schlimmste", heißt es mal, aber obwohl in diesem Film ganz schön viel gewartet wird, gelingt es der Regisseurin, die innere Spannung auf durchgehend hohem Niveau zu halten; und für die verschiedenen Rückschläge entschädigt "Wunschkinder" mit einem gleich zweifach zu Tränen rührenden Schluss. Alles andere wäre auch furchtbar frustrierend.