Es gibt ohnehin eine Menge Merkmale, die "Frau Temme sucht das Glück" von anderen Serien unterscheiden. Titelheldin Carla Temme zum Beispiel ist eine ganz normale Frau, fast ein Mauerblümchen, das allerdings aufblüht, wenn es sich an die Arbeit macht, denn in ihrem Job als Risikoanalystin ist Carla klasse. Meike Droste, am bekanntesten durch ihre Rolle als Polizistin an der Seite von Caroline Peters und Bjarne Mädel in "Mord mit Aussicht", entpuppt sich als wunderbare Besetzungsidee: weil sie der Rolle mehr und mehr Format gibt. Zum Glück haben die Verantwortlichen auf den Aschenputtel-Effekt verzichtet: Carla ist unscheinbar, aber kein hässliches Entlein, weshalb sie sich später auch nicht in einen schönen Schwan verwandelt.
Ähnlich interessant, wenn auch weniger differenziert sind Carlas Kollegen bei der Rheinischen Versicherung: Martin Brambach hat aus dem kauf- und spielsüchtigen Chef Hans-Peter Mühlens eine typische Brambach-Rolle gemacht, die er gewohnt unterhaltsam ausreizt. Ronald Kukulies spielt den Juristen der Abteilung, der ausgerechnet wegen Versicherungsbetrug im Gefängnis war; daran ist seine Ehe zerbrochen. Dritter im Bunde ist der Marketingmann Frank Weber (Sebastian Schwarz), ein überheblicher Überflieger, der gemeinsam mit Mühlens jene Idee hatte, der die Serie ihre Geschichten verdankt: eine "no limit"-Versicherung. Die Kunden sollen sich auch in enormer Höhe gegen alle nur denkbaren Schadensfälle absichern können, und prompt tauchen Menschen mit den absonderlichsten Anliegen auf.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
In Folge eins leidet Hähnchenfabrikant Färber (Jörg Witte) unter der irrationalen Angst, von einem gefrorenen Hähnchen erschlagen zu werden, und will eine Versicherung über 30 Millionen Euro abschließen. In Folge zwei will sich eine Braut (Theresa Scholze) buchstäblich der Treue ihres Zukünftigen versichern. Carlas Aufgabe als Risikoanalystin ist es nun, die Wahrscheinlichkeit eines Schadenfalls herauszufinden, zumal es gerade bei dem Fabrikanten um eine extrem große Summe geht. Weil sie dem Image der Versicherungsmitarbeiter zum Trotz aber auch hochmoralisch ist, versucht sie, Färber zu heilen. Bei der Braut will sie die Treue des Bräutigams (Christian Hockenbrink) testen und setzt ihre keinem Abenteuer abgeneigte Schwester Hannah (Anna Blomeier) auf ihn an. Noch origineller ist der Fall des Einbrechers Herbert (Jörn Hentschel): Der Mann hat eine vielköpfige Kinderschar und möchte sich gegen Berufsunfähigkeit versichern. Die Folge ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die unerwarteten Haken, die die Drehbücher immer wieder schlagen: Herbert nimmt Carla eines Abends überraschend zur "Arbeit" mit. Zum Einbruchsobjekt hat er ausgerechnet das Haus des Vorstands-Chef der Rheinischen erkoren. Dieser Jeckel (Johann von Bülow) hat ein Auge auf Carla geworfen, zumal ihm ihre Haltung imponiert: Während die Kollegen eifrig buckeln, sagt sie klipp und klar, was sie von der "no limit"-Versicherung hält. Als sie nach dem Einbruch feststellt, dass sie ihr Telefon bei Jeckel vergessen hat, muss sie seiner wiederholten Bitte um ein gemeinsames Abendessen nachgeben, damit Herbert dem Haus einen zweiten Besuch abstatten kann; und damit ist die Geschichte noch längst nicht zu Ende. Weil Carla zudem ein bisschen in den schmucken Schweden Mikael (Richard Ulfsäter) verliebt ist, gibt es nun gleich zwei Männer, die um das Mauerblümchen werben. Dabei hatte sie ihr Glück schon mal gefunden, aber ihr Mann wird vermisst, seit er vor zehn Jahren nicht vom Joggen zurückgekommen ist.
Die Inszenierung (Fabian Möhrke) fällt nicht weiter aus dem Rahmen; "Frau Temme sucht das Glück" ist weder besonders temporeich noch irgendwie originell gestaltet. Die einzelnen Folgen sind in sich abgeschlossen; einzig die Beziehungsebene wird etwas horizontal erzählt. Dafür sind die Schauspieler ausnahmslos umso besser, von den Drehbuchideen und vor allem den Dialogen ganz zu schweigen. Es ist lange her, dass der ARD eine heitere Serie dieser Art derart gut geglückt ist; womöglich muss man gar bis zu "Büro, Büro" (1982 bis 1993) zurückgehen, um Vergleichbares zu finden.