TV-Tipp: "Freistatt" (Arte)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Freistatt" (Arte)
20.1., Arte, 20.15 Uhr: "Freistatt"
Vor einigen Jahren hat das ZDF mit dem düsteren Film "Und alle haben geschwiegen" an die verdrängte Geschichte der deutschen Heimkinder in den Fünfziger- und Sechzigerjahren erinnert. Das Drama basierte auf dem Sachbuch "Schläge im Namen des Herrn" von Peter Wensierski. Auch Marc Brummund hat sich für seinen Film "Freistatt" durch den "Spiegel"-Autor inspirieren lassen.

Pate für seinen Kinofilm war allerdings Wolfgang Rosenkötter. Er war ein Zögling der Diakonie Freistatt im niedersächsischen Kreis Diepholz. Das kirchliche Fürsorgeheim galt als eines der härtesten seiner Art: Die oft aus fadenscheinigen Gründen eingelieferten Jugendlichen mussten bis zur Erschöpfung Torf stechen und waren der Willkür ihrer Aufseher ausgeliefert, die mit Pädagogik wenig im Sinn hatten. Der Film ist an den Originalschauplätzen entstanden.

Brummund, der das Drehbuch gemeinsam mit Nicole Armbruster geschrieben hat, siedelt die Handlung in den späten Sechzigerjahren an, was die skandalösen Missstände erst recht in grellem Licht erscheinen lässt: Während sich die Republik anschickt, den Muff der tausend Jahre zwischen 1933 und 1945 endlich hinter sich zu lassen, herrschen in Freistatt Bedingungen wie in einem Arbeitslager. Der Film beginnt mit viel Zeitgefühl und Aufbruchstimmung; das ändert sich abrupt, als Wolfgang nach Freistatt kommt, weil sein gewalttätiger Stiefvater (Uwe Bohm) eifersüchtig die innige Beziehung zwischen dem 14-Jährigen und seiner Mutter beenden will. Allerdings kommt der Junge vom Regen in die Traufe: Sehr schnell wird klar, warum die Zöglinge das Heim als Vorhof zur Hölle bezeichnen. Erbarmungslos machen sich die Aufseher den Gruppendruck zunutze; Wolfgangs Fluchtversuche haben Abendbrotverbot für alle zufolge, wofür sich die Gruppe kollektiv an ihm rächt. Aber weil er sich auch von mittelalterlichen Bestrafungsmethoden nicht brechen lässt, gewinnt er schließlich doch den Respekt der Leidensgenossen.

Die Geschichte ist naturgemäß freudlos, aber der Film ist hervorragend. Brummund hat bislang vor allem fürs Fernsehen gedreht, darunter den sehenswerten ARD-Ostseekrimi "Nord bei Nordwest". Neben der ausgezeichneten Bildgestaltung durch Judith Kaufmann und der vortrefflichen Musik von Anne Nikitin (als Download bei colosseum.de) beeindruckt "Freistatt" vor allem durch die Führung der Darsteller. Bei den namhaften Schauspielern ist das nicht weiter überraschend, zumal sie vorzüglich zu ihren Rollen passen: Alexander Held als schöngeistiger Leiter der Einrichtung, der auch anders kann, Stephan Grossmann als Sadist, der seine Wut hemmungslos an den Jungs auslässt, und Max Riemelt als sanfter Erzieher, der hier völlig fehl am Platz wirkt. Ganz großartig aber sind die Leistungen der Jugendlichen, aus denen Louis Hofmann in der Hauptrolle herausragt; der mittlerweile 18 Jahre alte junge Mann hat sein enormes Talent schon als Tom Sawyer in den Jugendfilmen von Hermine Huntgeburth bewiesen.