Diemut Meyer ist in diesen Tagen gut beschäftigt. Die Pastorin leitet die Bremer Kulturkirche St. Stephani. Sie wird jetzt zehn Jahre alt. Deshalb gibt es am 21. und 22. Januar ein großes Programm mit Musik, einer Licht- und Klang-Performance und einem Gottesdienst. Auch eine Podiumsdiskussion steht auf dem Programm. Darin gehen Kulturschaffende der "besonderen Rolle" der Kulturkirche in der Stadt auf den Grund. Die gibt es inzwischen, diese besondere Rolle. Doch bis die Erkenntnis dazu gereift war, brauchte es einige Jahre. Erst seit dem Jahr 2013 ist Bremens Kulturkirche aus dem Projektstadium heraus und somit eine dauerhafte Einrichtung. Bis dahin waren die Diskussionen intensiv und leidenschaftlich.
Letztlich aber hatte sich doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die schrumpfenden Kirchengemeinden zu viele Gotteshäuser haben. Das Dilemma nicht nur in Bremen: Immer weniger Menschen kommen in die Gottesdienste und die Kosten alleine zum Beheizen der Kirchen sind hoch. Also sind Ideen gefragt. Zahlreiche Gemeinden im Land setzen angesichts dieser Situation auf die beiden Zugpferde Kulturkirche und Jugendkirche – aus der Not soll so eine Tugend werden.
Schon Mitte der 1990er Jahren entstanden die ersten Kulturkirchen, der Trend zu Jugendkirchen ist seit etwa 15 Jahren zu beobachten. Rund 150 Gotteshäuser werden zurzeit in der Bundesrepublik besonders von jungen Menschen genutzt. Hinzu kommen etwa 250 Jugendkirchenprojekte. Die Jugendkirchen sind laut Definition ein sakraler Raum, der von und mit den Jugendlichen gestaltet wird. Dort finden Jugendgottesdienste und andere Veranstaltungen statt, es herrschen ökumenische und interreligiöse Offenheit und es gibt in der Regel auch eine gute Anbindung mit Bus und Bahn.
Solch eine Einrichtung gibt es knapp zehn Kilometer von der Bremer Kulturkirche entfernt: die Jugendkirche "Garten Eden 2.0" der Evangelischen Jugend Bremen. Dort finden Menschen von 14 bis 27 Jahren ihren eigenen Zugang zur Religion – zur christlichen und zu anderen. "Man kann in der Jugendkirche viel freier Denken", sagt die 19-jährige Dorina Diesing. Das ist nach Überzeugung des 24-jährigen Ulf Brunzlow notwendig. Er findet: "Die Jugend ist viel individueller. Man muss sie immer wieder neu ansprechen."
Der große Zulauf zur Bremer Jugendkirche scheint den Machern recht zu geben. Bestätigung dafür kommt aus Niedersachsen. Lars Dedekind, Landesjugendpfarrer der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig, lobt die Bremer. Seine Erfahrung, zumindest für die Stadt: "Wo es eine explizite Jugendkirche gibt, läuft es besser."
Die Braunschweiger haben per Synodalbeschluss den Weg zu einem Projekt mit drei Säulen frei gemacht. Dazu gehören das Kinder- und Jugendzentrum im östlichen Ringgebiet und die Propsteikirche St. Matthäus. Sie wird von der Gemeinde Pauli-Matthäus als Gottesdienstraum und als Jugendkirche genutzt. Diese Strategie ist nach Auskunft von Dedekind aufgegangen, wenn auch die Anfangsphase "durchrüttelt" gewesen sei.
Gleichwohl würden er und seine Mitstreiter heute einen anderen Weg wählen. Dies, so Dedekind, habe mit der ländlichen Struktur der Landeskirche zu tun. Der Landesjugendpfarrer findet vor diesem Hintergrund eine "mobile Jugendkirche" mit Fortbildungen und Angeboten vor Ort erfolgversprechender. So ließen sich innerhalb von eineinhalb bis zwei Jahren alle 13 Propsteien besuchen. Dedekinds Erfahrung: "Bei einem festen Gebäude gibt es immer gewisse Spannungen wegen der Bedürfnisse einer Kerngemeinde."
Die Kirche wird mehr genutzt als jemals zuvor
Eine Kirche für mehr als nur für Gottesdienste zu nutzen, ist in der Tat nicht ganz konfliktfrei. Das weiß auch Stefan Kröhnert. Er ist als Projektleiter für die Vermarktung einer der ältesten Kulturkirchen in Deutschland zuständig: der Kulturkirche Altona im Hamburg. Sie gibt es in dieser Form seit 1995/1996. Träger des Ganzen ist die Kulturkirche Altona GmbH. Sie vermietet das Gotteshaus an die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Altona-Ost. Zwischen beiden Partnern herrscht nach Auskunft von Kröhnert heute "ein harmonisches Miteinander". Aber das sei nicht immer so gewesen, besonders zu Beginn des Projekts. Inzwischen hätten sich die Skepsis und die Vorbehalte der Gemeindeglieder in Wohlgefallen aufgelöst.
Letztlich habe sich gezeigt, dass die Idee hinter der Kulturkirche, die Einnahmen zum Unterhalt des Gotteshauses zu verwenden, das Beste war, was der Gemeinde passieren konnte. Inzwischen stelle niemand mehr das Projekt infrage. Das findet auch Michael Schirmer, Pastor der Gemeinde Altona-Ost. Er sagt: "Die Kirche wird mehr genutzt als es jemals zuvor in ihrer Geschichte der Fall war." Dass die Gemeindeglieder mit der Situation zufrieden sind, liegt nach Schirmers Bewertung auch daran, dass der Pachtvertrag "sehr präzise geschrieben" sei. Darin ist zum Beispiel festgelegt, dass es neben dem Kulturprogramm einen verlässlichen Gottesdienst sonntags um 12 Uhr gibt. "Das Ganze lebt von der Mischnutzung."
Dafür haben sich auch die Bremer entschieden. Allerdings müssen sich die Gläubigen mit dem Seitenschiff zufrieden geben. Das Hauptschiff der St. Stephani-Kirche – immerhin die drittälteste der Stadt, ist für die Kultur reserviert. Die Gemeindeglieder können aber auch auf ihre zweite Kirche zurückgreifen, denn vor einigen Jahren haben sich die St. Stephani- und die St. Michaelis-Gemeinde zusammengeschlossen.