Schon im letzten Krimi mit dem "Starken Team" aus Berlin, "Nathalie", war die Titelfigur wichtiger als das eigentliche Ensemble. Das gilt auch für "Vergiftet": Dieser Film gehört Thomas Heinze. Die Rolle passt derart gut zu ihm, dass Leo P. Ard (alias Jürgen Pomorin) ihn womöglich schon beim Schreiben vor Augen hatte. Heinze spielt einen Starkoch, der allerdings bis ins Detail jenem Cholerikerklischee entspricht, an dem sich TV- und Kinoproduktionen seit einigen Jahren orientieren (im Fernsehen zuletzt Jürgen Vogel in "Familie!", im Kino Bradley Cooper in "Im Rausch der Sterne"): Die Köche sind extrem unsympathische Zeitgenossen, die ihre Mitarbeiter wie Dreck behandeln. Auch Jörg Lühdorff inszeniert die entsprechenden Szenen getreu dem Truman Capote zugeschriebenen Motto "Wenn du die Hitze nicht aushältst: raus aus der Küche." Kein Wunder, dass Immo Haferkamp, Arbeitsdevise: "Kochen ist Krieg!", eine Menge Feinde hat. Deshalb nehmen sich Otto Garber (Florian Martens) und Linett Wachow (Stefanie Stappenbeck) erst mal die lange Liste seiner gefeuerten Angestellten vor, nachdem Haferkamp bei seiner Kochshow beinahe Opfer eines Giftanschlags geworden ist: Anders als sonst will er den soeben zubereiteten Fisch von einer zufällig ausgewählten Person probieren lassen. Die Wahl fällt auf einen Praktikanten, der das Vorkosten nicht überlebt: Die Sauce ist mit Zyanid versetzt; der Täter wusste, dass Haferkamp den Bittermandelgeruch nicht wahrnehmen kann.
"Ich bin nicht dick, ich bin authentisch."
Die Geschichte ist kurzweilig, aber auch nicht ungewöhnlich, zumal der Film nach dem üblichen Krimimuster abläuft: Garber und Wachow klappern die potenziellen Täter ab. Deren Besetzung ist allerdings namhaft und interessant. Die Handlung beginnt mit einer jungen Frau, die in offenbar großer Verwirrung durch Berlin irrt. Erst viel später verrät das Drehbuch, dass Anja Lange (Jytte-Merle Böhrnsen) eine begnadete junge Köchin ist, die Haferkamps Druck nicht gewachsen war und versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Zu den Verdächtigen gehört auch die Redakteurin der Kochshow: Kerstin Wagner (Katharina Wackernagel) hatte mal eine Affäre mit dem Starkoch. Ganz oben auf der Liste steht ohnehin seine Gattin Daniela (Lisa Martinek). Sie hat nach Überzeugung ihres Mannes ein Verhältnis mit seinem Sous-Chef (Sven Gerhardt) und ebenso wie dieser vor der Aufzeichnung der Sendung in der Restaurantküche Zugang zur Sauce gehabt. Von vornherein als Ablenkungsmanöver durchschaubar ist dagegen ein Nebenstrang mit einem Schutzgelderpresser (Marko Dyrlich), dem Haferkamp mit seinen Angestellten eine deftige Abreibung verpasst hat. Am Ende verhält sich erwartungsgemäß alles ganz anders, als vorher angedeutet, weshalb die Auflösung ein bisschen wie aus dem Hut gezaubert wird. Immerhin sorgt das Finale, als Haferkamp bei seiner live ausgestrahlten letzten Sendung erneut vergiftet werden soll, für Spannung.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Sehenswert ist "Vergiftet", der 68. Fall fürs "Starke Team", daher vor allem wegen der Darsteller. Gerade die Kombination Thomas Heinze und Florian Martens ist reizvoll, zumal ihre Figuren keinerlei Gemeinsamkeiten aufweisen: hier der erfolgsverwöhnte Sternekoch, dort der bekennende Proletarier mit der Ostberliner Vergangenheit. Ihre schönste gemeinsame Szene ist ein nächtlicher Dialog: Garber hat den Personenschutz für Haferkamp übernommen und begleitet ihn in ein Hinterhoflokal, wo ihm der Koch sein Herz ausschüttet. Die erfahrenen Schauspieler setzen dieses Gespräch wie den Beginn einer wunderbaren Freundschaft um, und weil Heinze seinen Koch den diversen Klischees zum Trotz recht vielschichtig spielt, stellt sich ein Effekt ein, der im Buch womöglich gar nicht geplant war: Könnte Haferkamp den Giftanschlag selbst inszeniert haben? Vor diesem Hintergrund sind die nächsten Ereignisse doppelt interessant, denn als die beiden Männer das Lokal nach durchzechter Nacht verlassen, fallen Schüsse. Man muss kein Krimiexperte sein, um zu ahnen, dass die beiden Todesbotschaften vermutlich verschiedene Absender haben.
Inszenierung und Bildgestaltung (Philipp Timme) sind nicht weiter auffällig, auch wenn sich die optische Ästhetik ganz wesentlich von den letzten Filmen unterscheidet: "Vergiftet" ist ein Hochsommerkrimi, die Stadt leidet unter brütender Hitze; die Stimmung ist längst nicht so kühl wie etwa in "Nathalie", sondern hell und freundlich. Das Kostümbild des Teams ist entsprechend leger und gönnt sich auch den einen oder anderen Farbtupfer, wo zuletzt gesetzte Töne dominierten. Die Hitze führt unter anderem dazu, dass Garber seine Pistole im Kühlschrank deponiert, um sich anschließend damit zu kühlen. Seine unvermeidliche Wollmütze tauscht er gegen eine leichte Kopfbedeckung aus Stoff, die ihm Wachow schenkt. Auch der obligate Gastauftritt von Jaecki Schwarz darf nicht fehlen: Sputnik ist mit einer rollenden Imbissbude unterwegs und überzeugt, die ernährungsbewussten Berliner würden ihm seine "Veggie-Currywurst" aus der Hand reißen; Garber spuckt sie angewidert wieder aus und sorgt zum Ausgleich für eine amüsante Schlusspointe. Und dann gibt es noch einen Gag für Insider: Beim ersten Auftritt von Lisa Martinek als Restaurantleiterin nimmt sie eine telefonische Reservierung entgegen; der Gast heißt Pomorin. Den witzigsten Dialogsatz hat trotzdem der korpulente Schwarz: "Ich bin nicht dick, ich bin authentisch."