Beckers Held Felix ist selbstredend nicht annähernd so verrückt, wie alle meinen; und als Elektriker kann er einen Schlag sowieso nicht brauchen. Dass die Komödie trotzdem sehenswert ist, hat der Regisseur seinem Hauptdarsteller zu verdanken. Hinnerk Schönemanns Figuren zeichnen sich ja ohnehin stets durch eine gewisse Absonderlichkeit aus, selbst wenn es bei Reihenpersonal wie dem Kölner Kommissar Simmel aus „Marie Brand“, dem Privatdetektiv Finn Zehender in den Krimis nach Büchern von Holger Karsten Schmidt oder dem ehemaligen Polizistin in „Nord bei Nordwest“ oft nur markante Kleinigkeiten sind, die die Männer von gewöhnlichen Zeitgenossen unterscheiden. Auch Felix Grünler ist im Grunde ein harmloser Sonderling. Verschroben erscheint er nur, weil er hartnäckig einen Traum verfolgt: Alle Jahre wieder zur Vorweihnachtszeit nervt er Bürgermeister Kelmer (Armin Rohde) mit seiner Vision von einer festlich illuminierten Fußgängerzone. Alle anderen nervt er nicht minder, wenn auch aus anderen Gründen, und deshalb findet seine Schwägerin Karin (Marlene Morreis) überraschend viele Verbündete, als sie nach dem Tod der Schwiegermutter einen finsteren Plan entwirft: Weil ihr Mann Ingo (Kurt Krömer) nicht etwa wie erhofft das halbe Haus erbt, sondern bloß die Schallplattensammlung, sorgt die gierige Karin dafür, dass Felix in eine geschlossene Anstalt eingewiesen wird. Sie ist Oberstufenlehrerin und verspricht einem Psychiater (Peter Lohmeyer) sowie einer Richterin (Therese Hämer), dass ihre Kinder ein ordentliches Abiturzeugnis bekommen, und als sich Felix auf eine handgreifliche Auseinandersetzung mit dem aggressiven Vertreter einer Inkassofirma einlässt, wird er kurzerhand als Gefahr für sich und andere hingestellt und verschwindet in der Klapse.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bis dahin wirkt „Der mit dem Schlag“ wie eine Komödie mit langem Anlauf, die nun erst richtig losgeht; aber diese Hoffnung wird nicht erfüllt. Es wäre vermutlich unfair, auf „Einer flog übers Kuckucksnest“ zu verweisen, aber auch ohne diesen Maßstab ist der Film eine gelinde Enttäuschung: weil Felix’ Leidensgenossen in der Psychiatrie keine Tiefe bekommen und zwischen ihnen keinerlei Spannung entsteht. Der einzige interessante Insasse wird mit dem vermutlich ältesten „Irrenhaus“-Gag der Filmhistorie eingeführt: Der Arzt, der Felix am Empfang abholt, ist selbst Patient. Rufus (Sahin Eryilmaz) ist Felix’ Zimmergenosse; ihm ist eine der wenigen wirklich bewegenden Szenen gewidmt, als Felix es ihm ermöglicht, wenigstens per Live-Video einem großen Schulauftritt seiner Tochter beizuwohnen. Während bei Rufus auch die Vorgeschichte deutlich wird, werden die weiteren Leidensgenossen im Grunde auf ihre Macke reduziert; dabei wüsste man gern, warum ein Mann (Alexander Scheer) scheinbar unmotiviert dauernd mit Taschenlampe und Sonnenbrille durch die Anstalt läuft. Bei einer Patientin (Claudia Eisinger), die wie besessen davon ist, ein winterlich verwaistes Vogelnest mit vergessenen Eiern zu retten, erfährt man wenigstens, dass sie ihr Baby verloren hat.
Ähnlich wenige Konturen bekommen die Menschen aus Felix’ Umgebung. Bei ihnen begnügt sich Becker mit Beruf und Beziehungsstatus. Melanie (Lisa Maria Potthoff): Freundin und Friseurin, mit der Felix gern eine Familie gründen würde; Eddy (Sascha Reimann): Freund und Elektriker, mit dem er den alten Elektroladen seines Vater neu eröffnen möchte. Warum auch sie von Felix genervt sind, bleibt ebenfalls offen, selbst wenn sich beide beschweren, dass er immer bloß träume, aber nicht handle. Viel zu kurz kommt zudem das kafkaeske Potenzial der Geschichte. Dabei entspricht „Der mit dem Schlag“ doch dem klassischen Thriller-Muster: Ein Mann wird das Opfer eines perfiden Komplotts, hat aber keine Ahnung, warum ihm seine Mitmenschen derart übel mitspielen. Immerhin gibt es ein Detail, das für Vieles entschädigt: Felix hat regelmäßig Visionen seines Vaters, der ihm wie zur Begrüßung die Hand reicht; eine stumme Rolle, die Hansa Czypionka allein mit sanftem Blick und großer Ausstrahlung ausfüllt. Ausgerechnet die ansonsten eher wenig hilfreiche Anstaltsärztin (Sophie Rois) öffnet Felix schließlich die Augen und hilft ihm, ein Trauma zu bewältigen, dessen Existenz ihm gar nicht bewusst war.
Als Einschaltempfehlung bleibt Schönemann
Und so bleibt als Einschaltempfehlung vor allem Hinnerk Schönemann. Es gibt nicht viele Schauspieler, die ähnlich wie er mit einer abgebrochenen Geste und einem hilflosen Blick ganze Dialogpassagen überflüssig machen. Davon abgesehen zeigt die namhafte Besetzung selbst kleinster Rollen wieder einmal, wie groß in Schauspielerkreisen der Respekt vor Beckers Arbeit ist, und es macht in der Tat Spaß, den Darstellern zuzuschauen. An ihnen liegt es sicher nicht, dass „Der mit dem Schlag“ längst nicht so eindrucksvoll ist wie Beckers „Nachtschicht“-Krimis.