Heiner Lauterbach spielt den Berliner BKA-Beamten Hennings, der mit Frau und Tochter den Vorruhestand genießen will, als die beiden bei einem Anschlag auf einen Bundesminister vor seinen Augen von einer Bombe zerfetzt werden. Fortan ordnet er sein Dasein einem einzigen Ziel unter: Rache.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das klingt nach einer einfachen, übersichtlichen Handlung, aber spätestens im zweiten Teil entwickelt sich die Geschichte in eine ganz andere Richtung und wird über weite Strecken zu einem Zwei-Personen-Stück mit Lauterbach und seiner Tochter Maya. Es sind schon viele Filmesterne aufgegangen und wieder verglüht, und bei Kindern berühmter Eltern erweisen sich die Fußstapfen der Väter und Mütter oft als zu groß; aber Maya Lauterbach zeigt ein bemerkenswertes Talent. Sie spielt die Tochter jenes Mannes, den Hennings für den Drahtzieher des Anschlags hält. Dank seiner Beziehungen findet Hennings heraus, dass der mächtige Marokkaner Nader (Michele Cuciuffo) hinter dem Attentat steckt. Weil sein BKA-Freund Ritzenhoff (Uwe Preuss) die Ermittlungen auf Anweisung von oben einstellen muss, entwirft Hennings einen Plan, wie er sich an Nader rächen kann. Es gibt nur eine Möglichkeit, dessen wie eine Festung bewachtes Anwesen in Tanger zu erobern: Er muss in den innersten Zirkel vordringen. Also bewirbt er sich erfolgreich als Privatlehrer seiner 13jährigen Tochter Yasmin (Maya Lauterbach) und wartet auf eine günstige Gelegenheit, um ihn zu erschießen. Aber dann kommt alles ganz anders: Es gibt einen Überfall, Nader und seine Getreuen werden ermordet; Hennings kann im letzten Moment mit Yasmin fliehen. Fortan werden die beiden gejagt, denn Yasmin hat ein Notizbuch, in dem ihr Vater in codierter Form höchst brisante Informationen über die Kooperation des Bundesnachrichtendienstes mit dem arabischen Waffenhändler Abu Bahir notiert hat.
"Spuren der Rache" ist weit mehr als bloß die Geschichte einer Vergeltung, zumal der zweite Teil, als Hennings mit Yasmin nach Spanien flieht, eine ganz andere Entwicklung nimmt. Die beiden werden zwar von Bahirs schöner Killerin (Melanie Winiger) verfolgt, was selbstredend zu weiteren Thrillerszenen führt, aber sie müssen vor allem miteinander klarkommen. Maya Lauterbach, die zuvor schon in den beiden Kinderfilmen "V8" mitgewirkt hatte, spielt das ganz vorzüglich, zumal ihre die Rolle überaus komplex ist: Einerseits ist Yasmin eine typische 13-Jährige, die wenig mit ihrem wortkargen Hauslehrer anfangen kann, andererseits ist sie die früh erwachsen gewordene wohlerzogene Tochter eines Mannes, der viel Wert auf Stil und Bildung gelegt hat, was sich auch in ihrem Verhalten widerspiegelt. Natürlich muss sich Maya auch in einigen Actionszenen bewähren, aber die höhere Hürde waren womöglich jene Dialoge, in denen Yasmin viel Menschlichkeit zeigt und Hennings beschwört, die Spirale der Gewalt zu beenden; die entsprechenden Sätze klingen nie altklug oder aufgesetzt.
Großes Gespür für Zwischentöne
Nikolai Müllerschön treibt die Spannung immer wieder clever auf die Spitze, hat den Zweiteiler aber auch mit großem Gespür für Zwischentöne inszeniert. Gerade zu Beginn nimmt sich der Film die Zeit, um den äußerlich fortan wie erstarrt wirkenden Hennings seine Trauer ausleben zu lassen. Gleiches gilt für die Szenen in Tanger, als der BKA-Mann, der seine Karriere am Schreibtisch verbracht hat und deshalb alles andere als ein Kämpfertyp ist, in diversen Gesprächen das Vertrauen von Nader gewinnt. Interessant besetzt ist auch die Rolle des Leibwächters Hassan (Dar Salim), und je näher Hennings dieser Männer kennenlernt, umso sympathischer werden sie ihm. Der sterbende Hassan ist es auch, der Hennings bittet, sich des Mädchens anzunehmen.
"Spuren der Rache" ist die fünfte Zusammenarbeit Müllerschöns mit Lauterbach, der hier auch als Koproduzent auftritt; zuletzt haben die beiden unter anderem das tragikomische Krebsdrama "Letzte Ausfahrt Sauerland" und die handfeste Männerkomödie "Frauen gedreht", davor den Krimi "Harms" (2014). Die Geschichte klingt wie ein typischer Stoff von Thriller-Spezialist Holger Karsten Schmidt. Als Verfasser des Drehbuchs wird zwar Klaus Burck genannt, doch dahinter dürfte sich der Ausnahmeautor verbergen; Klaus Burck war eine Figur, die Hinnerk Schönemann in dem Schmidt-Krimi "Mörderische Erpressung" (2007) gespielt hat. Es wird seine Gründe haben, warum der zweifache Grimme-Preisträger ("Mörder auf Amrum") seinen Namen zurückgezogen hat, aber Müllerschöns Film ist trotzdem ein herausragend guter, von der ersten bis zur letzten Minute spannender Thriller, in dem schließlich auch noch Uwe Bohm als Pontius-Pilatus-Figur beim BND eine kleine, aber sehr akzentuiert gespielte Rolle hat. Auch die Actionszenen hat Müllerschön angemessen und mit großem optischem Aufwand umgesetzt (Bildgestaltung: Daniel Koppelkamm). Gekrönt wird der Film von einer Kinomusik (Julius Kalmbacher, Cop Dickie), die den Puls beschleunigt; "Spuren der Rache" ist fast zu groß fürs Fernsehen. Den zweiten Teil zeigt die ARD am Mittwoch.