"Na toll", schreibt Georg Warnecke, Pastor in Hamburg-Fuhlsbüttel, in der Facebookgruppe des Zentrums für evangelische Predigtkultur: "Dass ich Weihnachten #berlin aufgreifen muss, steht außer Frage – nur wie?" Zu Weihnachten gibt es in seiner Kirche einen Familiengottesdienst, was die Sache nicht leichter macht. "Ich predige nicht gerne politisch, aber ich kann auch nicht nichts sagen", überlegt Pastor Warnecke und fragt seine Kolleginnen und Kollegen: "Wie geht es euch damit?" Die Gruppe fängt an zu diskutieren. Manche schmeißen alles um, andere gestehen, dass sie um Worte ringen, wieder andere würden zumindest im Familiengottesdienst lieber von dem Anschlag schweigen.
Die Frage ist, welche Zielgruppe angesprochen werden soll und wie die Stimmung im jeweiligen Heiligabend- oder Weihnachtsgottesdienst wohl sein wird. Welche Fragen und Bedürfnisse haben die Menschen vermutlich? Sind sie stark von dem Anschlag in Berlin betroffen – und wenn ja, werden sie es am Samstag (Heiligabend) oder Sonntag (1. Feiertag) immer noch sein? Wichtig ist auch, welche Bedeutung der Gottesdienst hat: Wird zu einer kleinen oder großen Gemeinde gesprochen, ist der Gottesdienst eher intim oder öffentlich? Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, wird an Heiligabend zu einem Millionenpublikum sprechen. Er hält die Predigt im ARD-Fernsehgottesdienst, der ab 16.10 Uhr aus Langen übertragen wird. Jung hat sich nach dem Anschlag hingesetzt und seinen Text umformuliert.
Weihnachten ist "einfach mächtiger"
Das sei auch nötig, meint Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum und Mitbegründerin von predigten.evangelisch.de. "Man muss an Weihnachten unbedingt darauf eingehen", meint Karle. Die Menschen seien bestürzt und beunruhigt, sie fragten sich: "Was bedeutet das jetzt für uns, wann kommt der nächste Anschlag?" Diese Stimmungslage könne man in den Weihnachtsgottesdiensten nicht ignorieren. Den Terror zu benennen heißt aber für sie nicht, dass es ein deprimierendes Fest wird – im Gegenteil. "Ich denke, dass es jetzt umso wichtiger ist, die Weihnachtsbotschaft zu verkünden beziehungsweise Weihnachten zu feiern", sagt Isolde Karle.
Die biblische Weihnachtsgeschichte enthält Motive wie Flucht, Verfolgung, Gewalt, Angst, Nacht, die sich auch an anderen Stellen vielfach in der Bibel finden – Grunderfahrungen menschlichen Lebens, von denen wir eben auch heute nicht verschont bleiben. "Das finde ich das Spannende an der Weihnachtserzählung", sagt Isolde Karle, "dass sie nicht einfach nur ein Happy End verkündet oder einen einfachen Frieden. Sondern Jesus wird geboren unter ärmlichsten Verhältnissen, ihm wird sofort nach dem Leben getrachtet, sein ganzes Leben ist alles andere als einfach." Und trotzdem: "Das Evangelium sagt, dass genau in dieser Person Gott uns nahe kommt und dass Hoffnung und Liebe stärker sind als Gewalt und Ungerechtigkeit. Daran denke ich gerade jetzt an Weihnachten, das ist stark zu machen."
Um welchen biblischen Text es dabei im Einzelnen geht, findet die Theologieprofessorin gar nicht so entscheidend. "An Weihnachten ist der Kasus so stark, dass manchmal der Predigttext eine vergleichsweise geringe Rolle spielt", sagt sie. "Jetzt haben wir neben Weihnachten noch den Kasus 'Berlin'." Ihre eigene Predigt über Micha 5, 1-4a hat Karle schon vor dem Anschlag im Universitätsgottesdienst gehalten und wird sie für den 1. Weihnachtstag in ihrer Heimatgemeinde umschreiben, um den Anschlag aufzugreifen. Doch die Ausrichtung bleibt: Es geht um eine Friedensverheißung, um den Friedensherrscher, der aus Bethlehem kommt, und "damit tatsächlich um eine Vision, dass trotz aller Not und aller Krisen die Hoffnung und die Liebe siegen".
Friederike Erichsen-Wendt dagegen wird nichts ändern. Die Pfarrerin der Stiftskirche Windecken (Kurhessen-Waldeck) hat ihre Predigt über Micha 5, 1-4a für den 1. Weihnachtstag schon fertig formuliert. "Ich lasse sie so", sagt Erichsen-Wendt, "weil es um das Thema des Gehaltenseins und Weitblicks geht, und ich finde, das kann uns jetzt auch helfen, ohne dass es einen expliziten Bezug zu dem Anschlag in Berlin gibt." Außerdem findet die Pfarrerin, Weihnachten sei "einfach auch mächtiger" als ein solches Ereignis wie der Anschlag, und man solle sich nicht allzu sehr davon bannen lassen. "Bei dieser ständigen Berichterstattung besteht ja auch die Gefahr, dass einen das abstumpft."
Pfarrer Leweke schreibt auch: "Krippenspiel wird Krippenspiel bleiben – so wie es vorbereitet ist." Im Hinblick auf den Kinder- oder Familiengottesdienst würde Isolde Karle unbedingt zustimmen und nicht auf "Berlin" eingehen. "Man will die vielen Kinder, die da sind, ja nicht verstören", sagt die Theologin. Den Anschlag zu thematisieren, meint sie, sei "für Erwachsenen-Talk." Einfach sei das Formulieren – auch wenn die Botschaft letztendlich positiv ist – trotzdem nicht. "Es verlangt dem Predigenden einiges ab, auf jeden Fall."