Die Qualität der drei Teile, die jeweils in sich abgeschlossene Geschichten erzählen, ist nicht zuletzt das Ergebnis eines Emanzipationsvorgangs: Das Projekt ist mit spürbarem Respekt vor den Romanen Karl Mays entstanden und tut auch nicht so, als hätte es Harald Reinls Klassiker aus den Sechzigern nicht gegeben. Eine winzige Gastrolle für die einstige Nscho-tschi-Darstellerin Marie Versini mag den Status eines Augenzwinkerns haben, aber die Integrierung der berühmten Melodien von Martin Böttcher in Heiko Mailes neu arrangierte und mit dem Filmorchester Babelsberg eingespielte Filmmusik (als CD bei Polydor/Island erschienen) ist mehr als nur eine Hommage. Erzählhaltung, Umsetzung und optische Ästhetik machen ohnehin deutlich, dass Sender, Produktion und Regie ein Werk im Sinn hatten, dass nicht nur die Geschichte des Westens, sondern auch des Westerns erzählen soll. Für optische Parallelen zu den deutschen Karl-May-Verfilmungen sorgen schon die Schauplätze: Die drei "Winnetou"-Filme sind unverkennbar an den gleichen Drehorten entstanden. Aus der Tradition des Italo-Westerns stammt die Überhöhung der Figuren; in den ersten beiden Filmen tragen die Schurkendarsteller, hier Jürgen Vogel als mordlüsterner Indianerhasser, dort Fahri Yardim als durchgeknallter Mexikaner, derart dick auf, dass die Rollen wie Karikaturen wirken.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Innerhalb des Genres aber sind "Eine neue Welt" (lief am 25.) und "Der letzte Kampf", die Teile eins und drei, Spätwestern in der Tradition von Werken wie "Ein Mann, den sie Pferd nannten","Little Big Man", "Das Wiegenlied vom Totschlag" (alle 1970) oder "Der mit dem Wolf tanzt" (1990): Wie schon bei Karl May ist der Eingeborene der "edle Wilde", der im Einklang mit jener Natur lebt, die die Eindringlinge in ihrer Gier zerstören. Deshalb sind die Weißen fast ausnahmslos negativ besetzt; wenn schon nicht als Mordbuben und Trunkenbolde, dann doch zumindest als Pontius-Pilatus-Figur wie Rainer Bock im ersten Film als Repräsentant der Eisenbahngesellschaft, der sich unschuldig gibt, aber genauso Blut an den Händen hat wie sein Scherge Rattler (Vogel). Die einzige Figur in der Siedlung der Eisenbahnbauer, die ein Herz hat, sind die Hure Belle (Henny Reents) sowie Sam Hawkens, den Milan Peschel verkörpert, als habe Ralf Wolter den Platz bloß für ihn freigehalten. Natürlich ist dieses schlichte Menschenbild nicht nur schlicht, sondern auch verklärend, aber schließlich ist die Geschichte von Winnetou durch und durch romantisch.
Ansonsten sind die drei Filme geprägt von dem Anspruch, dem Mythos gerecht zu werden und doch etwas Neues zu schaffen. Natürlich wird jeder, der mit den Klassikern aufgewachsen ist, unwillkürlich Vergleiche ziehen, und sei es nur zwischen den Darstellern. Entsprechend interessant ist die Besetzung. Als der Amerikaner Lex Barker 1961 die Rolle von Old Shatterhand in "Der Schatz im Silbersee" übernahm, hatte er zwar bereits Tarzan und Lederstrumpf gespielt, aber zum Superstar wurde er erst durch die Karl-May-Filme; zumindest im deutschsprachigen Europa. Wotan Wilke Möhring ist ein ganz anderer Typ, und genau darin liegt der Reiz: Im Gegensatz zum 1,93 Meter großen und als Sexidol verehrten Barker kann Möhring, der auch gebrochene Figuren glaubhaft verkörpert, der Figur ganz andere Seiten abgewinnen. Zu den schauspielerisch schönsten Szenen gehören daher jene Momente, in denen der von einer christlich-puritanischen Erziehung geprägte Deutsche mit den Sitten und Gebräuchen der Eingeborenen konfrontiert wird, etwa beim freizügigen Bad der Frauen im Fluss oder bei der Schlüsselszene im heutigen zweiten Film ("Das Geheimnis vom Silbersee"), als die Schamanin der Apachen, Winnetous schöne Schwester Nscho-tschi, ihn öffentlich zu ihrem Lebensgefährten kürt und er dieses Ansinnen ablehnt. Anders als bei Karl May hat das übrigens keinerlei Glaubensgründe; im Unterschied zum Erzähler der Bücher ist der gleichnamige Held der Filme zwar ein Anhänger der Botschaft Jesu ("Alle Menschen werden Brüder"), aber kein Christ. Allerdings verliert er auch diesen Glauben mehr und mehr. Als er nach Nscho-tschis Antrag in die "Zivilisation" zurückkehrt, erscheint ihm die Welt der Weißen im Vergleich zum Leben der Apachen nur noch oberflächlich und eitel.
Drehbuchautor Jan Berger (bei Teil zwei unterstützt durch Alexander M. Rümelin) erzählt drei Geschichten, die sich wie die gesamte Produktion sowohl an Mays Vorlagen wie auch an den "Winnetou"-Filmen (inklusive "Der Schatz im Silbersee") orientieren. Teil eins schildert, wie sich die beiden späteren Freunde kennenlernen: Karl May kommt als Landvermesser der Eisenbahngesellschaft voller Pioniergeist nach Arizona. Beseelt vom Fortschrittsglauben, ist er überzeugt, dass die Eisenbahn auch den Indianern nur Gutes bringen werde; bis er mit ansehen muss, wie Rattler die Eingeborenen mit einem Maschinengewehr niedermäht. Zuvor hatte er schon den Häuptling der Apachen, Winnetous Vater Intschu Tschuna (Gojko Miti?, "Winnetou des Ostens"), erschossen. May, der Gewalt zwar ablehnt, seine Gegner aber dank seiner Jugend im Boxverein mit einer knallharten Rechten außer Gefecht setzen kann und daher von den Indianern den Ehrennamen "Shatterhand" bekommt, schlägt sich auf die Seite der Apachen und sorgt zum spektakulären Finale dafür, dass der Bau der Eisenbahn nicht fortgesetzt werden kann. "Eine neue Welt" handelt von einer klassischen Heldenreise: Der naive Träumer wird mit einer grausamen Realität konfrontiert, doch die Erfahrung lässt ihn nicht zerbrechen, sondern dank der Freundschaft zu Winnetou charakterlich wachsen.
Fünf Stunden, doch keine Minute zu lang
Im zweiten Film begleicht ein Ethnologe (Matthias Matschke) seine Spielschulden bei dem Mexikaner El Mas Loco (Yardim), der seinem Namen alle Ehre macht, mit dem Versprechen, den legendären Schatz im Silbersee zu finden; die Apachen haben dort angeblich ihr Gold geopfert, damit ein mächtiger Gott sie vor den spanischen Eroberern schützt. Loco entführt Nscho-Tschi, sie soll ihm den Weg zum See zeigen; Winnetou und Old Shatterhand nehmen gemeinsam mit Sam Hawkens nehmen die Verfolgung auf, geraten aber schließlich ebenfalls in die Gewalt des Mexikaners, der Nscho-Tschi für die Reinkarnation seiner verbotenen und vom Vater ermordeten Jugendliebe hält. Das mit knapp neunzig Minuten auch deutlich kürzere Silbersee-Abenteuer ist der unbekümmertste Film der Reihe. Teil drei, "Der letzte Kampf" und ebenso wie Teil eins knapp zwei Stunden lang, knüpft an die desillusionierende Haltung des Auftakts an: Ein zufälliger Ölfund Mays, mittlerweile nur noch Old Shatterhand genannt, weckt die Aufmerksamkeit von Santer (Michael Maertens als dandyhafter Schurke mit Stil und Charisma), dem nichtsnutzigen Sohn eines Öltycoons (Mario Adorf). Weil May sein Grundstück, das ohnehin den Apachen gehört, nicht verkaufen will, sorgt Santer dafür, dass die Indianer und Shatterhand des Mordes angeklagt und enteignet werden. Die Freunde werden zwar befreit, doch Winnetou scheitert bei seinem Versuch, die anderen Stämme zum Kampf gegen die Weißen zu vereinen; also stürzen sich die Apachen ohne Unterstützung in die aussichtslose Schlacht.
Philip Stölzl hat mit seiner aufwändigen "Medicus"-Verfilmung (ebenfalls nach einem Drehbuch von Jan Berger) bewiesen, dass ihn aufwändige Herausforderungen nicht schrecken. Trotzdem imponiert an seinem "Winnetou" vor allem die Ruhe und die Souveränität, mit der er den Stoff umgesetzt hat; die drei Filme dauern insgesamt über fünf Stunden und sind doch keine Minute zu lang. Es gibt zwar große Bilder (Kamera: Sten Mende) und spannende Szenen, aber sie sind harmonischer Teil der Geschichte. Wichtiger für die Wirkung und ungleich berührender sind die Zwiegespräche zwischen den beiden Freunden, die einander ihre jeweilige Weltanschauung erläutern. Die Mischung aus Romantik und Realismus, der Verzicht auf Pathos sowie der knochentrocken vorgetragene indianische Humor (die Eingeborenen sprechen Lakota) sind die deutlichsten Unterschiede zu den Klassikern; und die neben den beiden Helden fast gleichberechtigte Rolle von Nscho-tschi. Möhring ist eine ausgezeichnete Wahl, und der ausgesprochen gut gebaute Nik Xhelilaj, schon als Titeldarsteller in "Der Albaner" für den deutschen Film entdeckt und damals als "European Shooting Star" geehrt, ist nicht minder vorzüglich. Das emotionale Zentrum verkörpert jedoch die Mexikanerin Iazua Larios. Nscho-tschi ist es auch, der es am Ende gelingt, die verfeindeten Stämme zu befrieden. Selbst wenn es der Schluss mit der Völkerverständigung ein bisschen zu weit treibt: "Winnetou" ist großes Fernsehen. Den dritten Film, "Der letzte Kampf", zeigt RTL am 29. Dezember.