Dabei trägt sich die Handlung nicht mal während der närrischen Tage, sondern Anfang November zu, aber dank Werner lernt man, dass das weltberühmte Kölner Grundgesetz um einen weiteren Merksatz erweitert werden müsste: Nach dem Karneval ist vor dem Karneval. Außerdem verteilt der Autor diverse Seitenhiebe an den auch außerhalb der Region berüchtigten Kölschen Klüngel, der beim organisierten Karneval selbstredend eine ganz besondere Rolle spielt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Regisseur Thomas Jauch ist es schon bei "Ein Fuß kommt selten allein" ausgezeichnet gelungen ist, die Tanzamateure in die Truppe zu integrieren. Das klappt auch diesmal wieder hervorragend. Gerade Sinja Dieks profitiert dabei von der Tanzausbildung, die sie einst genossen hat. Sie verkörpert das aktuelle Tanzmariechen, das sich mit allen Mitteln dagegen wehrt, von seiner Rivalin (Natalia Rudziewicz) verdrängt zu werden. Die beiden weiteren Schlüsselrollen werden von Männern eingenommen: Tristan Seith spielt Evelyns verbitterten Vater; er ist es auch, der überall den Klüngel am Werk wittert und prompt an eine Verschwörung glaubt, als sein völlig talentfreier Sohn nicht als Büttenredner zugelassen wird. Sein Gegenspieler ist der Präsident der Jecke Aape, und im Gegensatz zum Koblenzer Seith, der seine Dialoge mit authentisch klingenden Dialektanklängen versieht, muss sich der Allgäuer Herbert Knaup zum Glück nicht als Einheimischer ausgeben. Davon abgesehen verkörpert er diesen Mann, für den der Karneval bitterer Ernst ist, unangenehm glaubwürdig.
"Tanzmariechen" wird wohl nicht in die "Tatort"-Annalen eingehen, aber der Film ist unterhaltsam und dank der Blicke hinter die Karnevalskulissen sehr interessant. Und weil die Kölner Krimis gern für einen gewissen gesellschaftlichen Anspruch stehen, gibt es noch eine Nebenebene mit dem Assistenten des Ermittlerduos: Dass Tobias (Patrick Abozen) schwul ist, war bislang kein großes Thema, aber nun besucht ihn sein Freund am Arbeitsplatz. Schenk beobachtet, wie die beiden sich küssen, und stellt Tobias zur Rede, aber selbstredend nicht, weil er homophob ist, sondern weil er Irritationen unter den Kollegen vermeiden will. Es gab schon Seitenstränge, die deutlich weniger elegant in die Handlung integriert waren, aber auch diesmal hakt es etwas, selbst wenn der Vorwand für das Auftauchen des Freundes für eine Reihe amüsanter Gags sorgt. Als Plädoyer für Toleranz im Sinn des kölschen Lebensmottos "Jeder Jeck is anders" funktioniert der Einschub jedoch gut, das Duo Behrendt/Schenk ist ohnehin sehenswert wie stets, und zum Finale wird’s hochdramatisch.