Der bekannte Pianist Hannes Westhoff (Günther Maria Halmer) wird siebzig. Gattin Anne (Michaela May) plant ein großes Fest und hat nicht nur Westhoffs Söhne samt Anhang, sondern auch deren Mutter, Hannes’ Ex-Frau Renate (Hannelore Elsner), eingeladen. Die Familie trifft schon am Vorabend der Feier ein, aber die Atmosphäre ist frostig; die Spannungen zwischen Vater und Söhnen sind nicht zu übersehen. Da sich Renate offenbar vorgenommen hat, die Alkoholbestände im Alleingang zu vernichten, kommt es zu munteren Auseinandersetzungen, die sich am nächsten Tag fortsetzen; erst ein tragisches Ereignis sorgt dafür, dass die Familie zueinanderfindet.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Für Halmer ist der zynische Patriarch, dem es nicht nur die Söhne, sondern offenbar überhaupt niemand je recht machen konnte, eine Paraderolle, die er geradezu lustvoll bis zur bitteren Neige auskostet. Die weiteren Figuren sind dagegen etwas schlicht geraten und müssen sich mit jeweils einem Merkmal zufrieden geben: Gregor (Marc Hosemann) ist chronisch pleite und lässt sich stoisch erniedrigen, weil er 50.000 Euro Schulden hat; und das bei Menschen, die säumigen Schuldnern auch mal einen Finger brechen. Max (Lars Eidinger) ist sichtbar krank, verrät das aber niemandem, und seltsamerweise fragt ihn auch keiner; eine Krankenschwester (Jördis Treibel) hat er gleich mitgebracht. Frederik (Barnaby Metschurat) ist schwul und führt seinen Freund in die Familie ein, was Westhoff für einige geschmacklose homophobe Scherze nutzt. Auch die Frauen bekommen kaum Tiefe: Renate ist eine Schnapsdrossel, Anne der gute Geist, der sich opfert, was die Kamera (Jens Harant) noch betont, wenn sie die Frau von oben herab betrachtet.
Trotzdem ist "Familienfest" unbedingt sehenswert: weil Grimme- und Filmpreisträger Kraume ("Guten Morgen, Herr Grothe"; "Der Staat gegen Fritz Bauer") sein Ensemble zu einer Leistung führt, die vergessen lässt, wie skizzenhaft die Charaktere sind. Koautor Rauhaus ist ohnehin ein begnadeter Dialogschreiber, weshalb die Bosheiten, die sich die Familienmitglieder an den Kopf werfen, erlesen sind. Ähnlich liebevoll erdacht sind verschiedene Situationen, die zu gleich mehreren Eklats führen, weil die Westhoffs keine Schmähung auf sich sitzen lassen und natürlich jeder die wunden Punkte der anderen kennt. Schillerndste Figur ist dennoch der Patriarch, dessen Verachtung der Menschheit auch vor sich selbst nicht haltmacht; "Happy Birthday, Arschloch", beglückwünscht er sich kurz nach Mitternacht zum Geburtstag.
Ein Drama, aber komisch anzuschauen..
Natürlich ist das Muster nicht neu. Ganz ähnlich funktionierten zum Beispiel die mittlerweile vierteilige Filmreihe, die Rainer Kaufmann seit "Das Beste kommt erst" (2009) für das ZDF gedreht hat, oder zuletzt "Ein großer Aufbruch" (2015, ebenfalls ZDF) von Matti Geschonneck. Kraumes Tragikomödie aber geht noch einen Schritt weiter: Über weite Strecken ist "Familienfest" wie so viele Komödien dieser Art zwar im Grunde ein Drama, aber komisch anzuschauen. Das ändert sich schlagartig, als Max nach einer aus Westhoffs Sicht wenig erbaulichen Geburtstagsrede, in der er den Vater mit dem Skorpion vergleicht, der den Frosch bei der gemeinsamen Flussüberquerung ersticht und mit ihm ertrinkt, zusammenbricht. Nun wird der Film zum tränenreichen Drama; und endlich erkennt die Ansammlung von Egomanen und Narzissten, was eine Familie stark macht.