12.11., ARD, 16.30 Uhr: "Tsukigi soll leben!"
Uwe Schwering porträtiert in seiner "Weltspiegel"-Reportage einen ungewöhnlichen Menschen: Als gelernter Jurist könnte Hideto Ueji, 43, auch in der schicken Präfektur-Hauptstadt Fukuoka sitzen und einer geregelten Tätigkeit nachgehen. Er widmet sich aber lieber einer japanischen "Mission Impossible": Auf seiner Heimatinsel Kyushu im Süden des Landes will er das Dorf Tsukigi vor dem Aussterben retten; angesichts von Landflucht und der rapide vergreisenden Bevölkerung ein Wettlauf mit der Zeit. Es gibt viele Tsukigis im Land; Japan droht auszusterben. Tsukigi ist ein abgeschiedener Ort, umgeben von Bergen, ohne fließendes Wasser, ohne funktionierendes Mobilfunknetz. 1500 Menschen lebten hier einmal, jetzt sind es noch 130. Durchschnittsalter: rund 80 Jahre. Die 40 Autominuten entfernte Stadtverwaltung in Taragi beschäftigt Ueji nun als "Dorfretter". Und der muss Erfolge liefern, sonst wird sein Vertrag nicht verlängert. Also fegt der dreifache Familienvater wie ein Wirbelwind durch die Täler und entwickelt Ideen: Sammelt Gemüse ein und verkauft es im vier Stunden entfernten Fukuoka, als profilbildende Maßnahme: "Hallo, uns gibt's noch!". Vielleicht wollen die Leute ja mehr. Dann könnte Tsukigi mehr produzieren, Arbeitsplätze würden entstehen, eine kleine Agrarfabrik. Vielleicht würden sogar jüngere Menschen zuziehen, am besten Familien mit Kindern. Bislang strömen die wenigen jungen Menschen in die großen Städte wie Tokio oder Osaka, lassen die Alten schweren Herzens allein zurück. Ueji organisiert Siedlungsfeste, Schreinfeste, Senioren- und Karaoketreffs. Als "Handyman" hilft er den Alten bei der Reisernte, macht Hausbesuche, wechselt Glühbirnen oder Batterien, übernimmt den Fahrdienst zum Arzt. Kommen Fremde ins Dorf, führt er sie rum. Freizeit? Fehlanzeige. Und das, obwohl Ueji seine Frau Miyuki und zwei Kinder mitgenommen hat in die Einsamkeit. Jetzt hat er drei Mädchen, Io ist da. Die erste Geburt in Tsukigi seit 20 Jahren! Und noch einen Erfolg hat Ueji vorzuweisen: Die schon geschlossene Grundschule im Dorf hat wieder aufgemacht - für seine Tochter Mio. Sie ist das einzige Kind dort.
13.11., ARD, 17.30 Uhr: "Gott und die Welt: Mit Kopftuch und Diplom"
Dina El Omari ist gebürtige Westfälin, trägt Kopftuch und arbeitet als Wissenschaftlerin an der Universität Münster an einer zeitgemäßen Koranauslegung; im Zentrum stehen dabei gleiche Rechte für Frauen und Männer. Aber wie kann eine junge Frau ihren Glauben selbstbewusst leben, wenn sich gleichzeitig "Glaubensbrüder" auf Suren im Koran beziehen, um terroristische Angriffe wie vor einem Jahr in Paris zu rechtfertigen? Dina El Omari weiß, welche Rechtsschulen des Islam die Verbreitung des Glaubens mit dem Schwert rechtfertigen und setzt sich theologisch damit auseinander. Und: Sie kämpft dafür, dass ein modernes Verständnis des alten Textes an die nächste Generation weitergegeben wird. Im Film von Margarethe Steinhausen trifft sie auf ähnlich streitbare und doch so unterschiedliche Frauen wie die in einer DITIB-Moschee engagierte Pina Cetin oder aber Gabriele Heinemann und Sevil Yilmas im Mädchen-Treff Madonna in Berlin-Neukölln.
14.11., ARD, 22.45 Uhr: "Die Story im Ersten: Die Sekte der Folterer"
Folter, Vergewaltigung Minderjähriger, zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka, gegenseitige Bespitzelung, Beichtzwang: Die Colonia Dignidad in Chile war Schauplatz beispielloser Verbrechen. Gegründet 1961 von freikirchlichen Auswanderern präsentierte sie sich nach außen als deutsche Mustersiedlung. Tatsächlich war sie für ihre Bewohner die Hölle auf Erden. Später wurde sie sogar zu einem Folterzentrum für das chilenische Pinochet-Regime. Sehr früh gab es Berichte über die Verbrechen, die vor allem der Leiter der Kolonie, Paul Schäfer, beging. Aber niemand schritt ein. Deutsche Diplomaten leugneten jahrelang die Menschenrechtsverletzungen, vertuschten die entsetzlichen Zustände und schickten geflohene Sektenmitglieder sogar zurück. Jahrelang wurden der Colonia-Dignidad-Führung die Rentenzahlungen der deutschen Staatsbürger der Kolonie ausbezahlt. Das Auswärtige Amt hat jetzt seine Archive geöffnet, um die Rolle der deutschen Diplomatie bei diesem Skandal zu beleuchten; Ulli Neuhoff und Klaus Weidmann erzählen in ihrem Film die Geschichte dieser "Sekte der Folterer". 1996 tauchte Paul Schäfer unter, wurde 2005 in Argentinien festgenommen, nach Chile ausgeliefert und starb 2010 im Gefängnis. Weggefährten aber führten die Sekte weiter. Schäfers Stellvertreter, 2006 in Chile verurteilt, floh nach Deutschland. Dort lebt er bis jetzt unbehelligt, obwohl die Staatsanwaltschaft Krefeld beantragt hat, seine chilenische Strafe in Deutschland zu vollziehen. "Die Story im Ersten" macht sich auf die Suche nach Tätern und Opfern, beleuchtet das Verhalten deutscher Diplomaten und verfolgt die Spuren der Foltersekte bis in die Gegenwart. Während das Gelände der Kolonie jetzt touristisch genutzt wird, sind viele Opfer der Foltersekte - Deutsche und Chilenen - noch immer schwer traumatisiert und warten bis heute vergeblich auf Hilfe und Entschädigung.
16.11., ARD, 20.15 Uhr: "Ein Teil von uns"
Viel zu selten erzählen Fernsehfilme von Menschen, die mitten unter uns leben, aber dennoch praktisch unsichtbar sind. Zentrale Figur dieses Dramas ist die Kindergärtnerin Nadja (Brigitte Hobmeier), deren Mutter Irene (Jutta Hoffmann) die bürgerliche Existenz offenbar vor geraumer Zeit aufgegeben hat. Im Leben der Tochter spielt sie schon lange keine Rolle mehr; Nadja hat den Kontakt komplett abgebrochen. Wie aus heiterem Himmel taucht Irene wieder auf. Da der Winter ansteht und sie aus ihrem Zimmer im Heim für Wohnungslose geflogen ist, muss sich die Tochter um sie kümmern. "Ein Teil von uns" ist exzellent gespielt und schildert die Verhältnisse ungeschönt; nicht nur der Inhalt, auch die Gestaltung der kühlen Novemberbilder) sorgt dafür, dass das Drama alles andere als herzerwärmend ist. Jutta Hoffmann verkörpert die offenkundig geistig verwirrte Mutter mit unbarmherziger Konsequenz als boshafte alte Frau, die jedes Mitgefühl im Keim erstickt. Solche Empfindungen weckt viel eher Brigitte Hobmeier, denn Nadjas Dasein wird durch Irenes Auftauchen mehr als nur aus der Balance gebracht: Als die Mutter zum zweiten Mal auf dem privaten Kindergartengelände auftaucht, verliert die Tochter ihre Arbeit; und weil sie sich schämt, ihrem Freund Jan (Nicholas Reinke) zu gestehen, um wen es sich bei der derangierten Alten handelt, geht auch die Beziehung zunächst in die Brüche. Auch wenn der Film Irene seltene Momente des kleinen Glücks gönnt: Ein Vergnügen ist er trotzdem nicht, auch wenn es Buch und Regie irgendwie gelingt, die Geschichte halbwegs versöhnlich ausklingen zu lassen.
16.11., WDR Fernsehen, 22.55 Uhr: "Laura von Arabien - Allein unter Männern"
Im Emirat Katar mit seinen 2,5 Millionen Einwohnern, ist sie mit Abstand die bekannteste, aber auch umstrittenste Ausländerin. Sie teilt die große Leidenschaft der katarischen Männer: Laura Wrede jagt mit Falken. In einem absoluten Männersport ist sie die einzige Frau; eigentlich unmöglich. Sie wurde auch schon bespuckt, aber das sei selten, versichert sie. Auch der Turban, den sie trägt, ist eigentlich nur für Männer. Seit fünf Jahren lebt die 30jährige in Katar und leitet das Büro einer internationalen Marketingagentur. Frank Sieren hat sie für seine Reportage begleitet: Früh morgens um vier Uhr, lange vor Arbeitsbeginn, trainiert sie ihre beiden Falken Rahmat und Shekat. Auf der Fahrt zur Arbeit schminkt sie sich rasch im Rückspiegel. Auch die Fingernägel lackiert sie gern mal am Lenkrad. Ihr großes Ziel ist es am Al Galayel, der größten Falkenjagd auf der arabischen Halbinsel teilzunehmen; natürlich als einzige und vor allem als erste Frau überhaupt. Ein Film über ein Land, das seinen Weg zwischen Tradition und Moderne sucht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
16.11., WDR Fernsehen, 23.25 Uhr: "Meine Familie, die Nazis und Ich"
Heinrich Himmler, Hermann Göring, Amon Göth; diese Namen erinnern ewig an die menschenverachtenden Verbrechen der Nazizeit. Eine Last, die ihre Nachfahren noch heute tragen. Wie leben die Kinder und Enkelkinder von Hitlers engsten Vertrauten heute mit ihrem Erbe? In der Dokumentation von Chanoch Ze'evi beginnen Kinder und Enkel der NS-Täter eine Aufarbeitung auf ganz persönlicher Ebene. So verschieden wie die Protagonisten des Films, so unterschiedlich sind auch die Wege, die sie gefunden haben, um mit ihrem schweren Familienerbe umzugehen. Vor der Kamera des israelischen Filmemachers öffnen sie sich und erzählen ihre persönliche Familiengeschichte. Ihre Aussagen geben einen lebendigen Einblick in das familiäre Herz einer ganzen Generation. Niklas Frank zum Beispiel lässt an seinen Eltern kein gutes Haar. Der Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete, schreibt in zwei Büchern schonungslos über die Vergehen seiner Familie. Seine Anklageschrift trägt er auszugsweise für Schulgruppen vor und ruft auf seinen Lesungen starke Emotionen hervor. Monika Göth hingegen bekämpft ihre Familienlast mit einer offensiven Israelliebe. Die Tochter von Amon Göth, dem sadistischen Lagerkommandanten des Konzentrationslagers Plaszow, lebt heute zurückgezogen in der bayerischen Provinz. Mit der Wahrheit über ihren Vater wurde sie erstmals als Teenager konfrontiert. Steven Spielbergs Holocaust-Drama "Schindlers Liste" öffnete ihr vollends die Augen über die Mordpraktiken Amon Göths, die ihm den Beinamen "Schlächter von Plaszow" eingetragen haben: Der Kinobesuch endete für sie mit einer ärztlichen Behandlung nach schwerem Schock.
Bettina Göring, Großnichte von Hermann Göring, lebt seit vielen Jahren in einem entlegenen Ort in New Mexico, USA. Sie hat sich für den Neuanfang unter einem neuen Namen entschieden und beobachtet ihre Heimat nur noch aus der Ferne. Genau wie ihr Bruder hat sie sich für die Sterilisation entschieden, "um keine weiteren Görings zu produzieren". Den entgegengesetzten Weg hat Katrin Himmler gewählt. Die Großnichte von Heinrich Himmler hat sich als Ahnenforscherin auf die eigene Familiengeschichte spezialisiert. Ihr Drang, alle Verstrickungen ihres Umfeldes aus der Zeit des Nationalsozialismus offenzulegen, stößt nicht nur auf Gegenliebe. Doch die Autorin ist überzeugt, dass man nur im Dialog voranschreiten kann. Diesen Weg, den Dialog mit Holocaust-Überlebenden, sucht auch Rainer Höß. Er ist der Enkel des langjährigen Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß. Der Film begleitet ihn auf seiner Reise gemeinsam mit einem israelischen Journalisten in das ehemalige Konzentrationslager, neben dem sein Vater aufgewachsen ist. Die Fotos aus dem Familienarchiv zeigen eine idyllische Kindheit, während auf der anderen Seite der Mauer täglich Häftlinge umgebracht wurden.
16.11., SWR Fernsehen, 22.00 Uhr: "Nachspielzeit"
Die Stimmung ist explosiv; ein Funke genügt, um die zornigen jungen Männer aus der Haut fahren zu lassen. Der Druck kommt jedoch vor allem von außen: Roman, ein Arbeitsloser ohne Perspektive, gibt "den Ausländern" die Schuld an seiner Lage, weil sie angeblich von dem Geld profitieren, das ihm weggenommen wird. Der Deutschtürke Cem, der gerade ein freiwilliges soziales Jahr in einem Seniorenheim absolviert, hat sich einer Initiative angeschlossen, die sich mit Sabotageaktionen gegen den Ausverkauf des Neuköllner Kiezes wehrt. Sein Vater kann die immer teurere Miete für sein Restaurant nicht mehr bezahlen. Roman und Cem begegnen sich das erste Mal bei einem Fußballspiel. Ihre Beleidigungen eskalieren in eine Prügelei, beide sehen Rot. Später treffen sie auch außerhalb des Platzes aufeinander; beinahe zu spät stellen sie fest, dass sie ihre Kräfte besser gegen einen gemeinsamen Feind bündeln sollten. Andreas Pieper (Buch und Regie) beginnt "Nachspielzeit" mit rohen, betont unfertig wirkenden Aufnahmen, die seine beiden Protagonisten im finalen Kampf miteinander zeigen; die Vorgeschichte reicht er als Rückblende nach. Die Bildgestaltung (Armin Dierolf) aber bleibt dem Stil des Prologs treu, was dem Film eine große Direktheit gibt. Immer wieder ist die Kamera fast hautnah an den Figuren; auf diese Weise gelingt es Pieper, die Stimmungen unmittelbar einzufangen, zumal viele Szenen mit entsprechenden Rapsongs unterlegt sind. "Nachspielzeit" ist sichtlich mit überschaubarem Budget entstanden. Aber das Drama lebt ohnehin von der Atmosphäre, und für die sorgen neben der Kamera vor allem die ausgezeichneten Hauptdarsteller. Frederick Lau ist dabei eine fast schon zu nahe liegende Besetzung für Roman, dessen dumpfer Ausländerhass bloß ein Ventil für seine diffuse Wut ist; aber natürlich spielt er das vortrefflich. Eine echte Entdeckung ist dagegen Mehmet Atesci, waschechter Kreuzberger und Ensemblemitglied im Berliner Maxim Gorki Theater, der bislang nur wenig Filmerfahrung hat.
17.11., WDR Fernsehen, 22.40 Uhr: "Menschen hautnah: Von Beruf Mutter"
Mit 43 Jahren fragte sich die Verlagsangestellte Marina S., ob sie wirklich noch bis zur Rente am Schreibtisch arbeiten wollte. Auf der Suche nach etwas Neuem begann sie Stellenanzeigen zu wälzen und stolperte dabei über eine Anzeige mit dem Text "SOS-Kinderdorfmutter gesucht". Die Anzeige wollte ihr nicht wieder aus dem Kopf. Filmemacher Frank Papenbroock begleitete Marina ein Jahr lang. Meist sind es zwischen vier und sechs Kinder, die zu einer SOS-Familie gehören. Marina wird also praktisch über Nacht Chefin einer Großfamilie, Managerin, Erzieherin – und vielfache Mutter. An einem Abend im August kommen die ersten beiden Geschwisterkinder, kurz danach drei weitere Geschwisterkinder; sie alle stammen aus mehr oder minder schwierigen familiären Verhältnissen. Was brauchen diese Kinder? Regeln, Erziehung, Sicherheit? Oder brauchen sie auch Liebe? Welche Rolle spielen die leiblichen Eltern und wie schafft es Marina, diesen Kindern zu geben, was sie brauchen? Der Film lotet aus, was es heißt Kinderdorfmutter zu sein. Das Ergebnis ist ein Langzeitporträt, das den allmählichen Wandel in einer neu entstandenen Ersatzfamilie zeigt und Einblick in die geschlossene Welt eines Kinderdorfs gewährt.
18.11., 3sat, 21.00 Uhr: "makro: Ruhe sanft - und günstig"
Das Bestattungsgeschäft ist krisenfest, so hieß es lange. Gestorben werde schließlich immer. Doch längst mangelt es Bestattern, Steinmetzen, Sargbauern und sogar Friedhöfen an Aufträgen. Die Menschen werden immer älter, und gesellschaftliche Umbrüche verändern die Bestattungskultur radikal: Seit dem Mittelalter waren christliche Totenbräuche und Beerdigungsrituale in Europa selbstverständlich. Ralf Bonsels beschreibt mit seinem Film den Überlebenskampf einer jahrhundertealten Branche, denn die Situation hat sich gründlich geändert: Heute haben Discount-Bestatter regen Zulauf. Sie bedienen eine Nachfrage, die meist durch familiäre Zerwürfnisse und schwindende religiöse Bindung entsteht. Die Abschaffung des obligatorischen Sterbegelds hat die Entwicklung noch befeuert. Zugleich gibt es immer häufiger den Wunsch, nicht im Reihengrab auf dem klassischen Friedhof die letzte Ruhe zu finden. Bestattungen im Wald, im heimischen Garten oder gar im Weltall sind gefragt. Auf dem traditionellen Gottesacker entstehen hingegen immer mehr Leerstellen zwischen den Gräbern, die für manche Friedhöfe längst existenzbedrohlich geworden sind.