Tübingen (epd). "Das Geschehen des Krieges steht nicht mehr im Vordergrund, sondern einzelne aktuelle Bilder", sagte Jessica Heesen, die sich am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen mit Medienethik befasst, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Grund seien die zahlreichen Echtzeit-Bilder in sozialen Netzwerken wie Facebook. "Diese Bilder stehen im Vordergrund, und das ganz ohne Kontext. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke und der Suchmaschinen spülen sie nach oben - unabhängig von der Relevanz."
Dies sei bei Krisen wie dem Amoklauf in München im Juli oder aktuell bei den Kriegen im Irak und in Syrien zu beobachten, erläuterte Heesen. "Die Live-Bilder haben einen besonderen Reiz, weil sie authentisch wirken. Aber Unmittelbarkeit ist nicht gleich Wahrheit." Früher habe es eine "Autorität der Quelle" gegeben, sagte Heesen. "Journalisten haben die Bilder ausgewählt. Und sie haben sie eingeordnet." Aus diesem Grund hätten Nutzer den Medien vertraut und die Inhalte als glaubwürdig eingeschätzt.
Medien sollten klassische Tugenden nicht vernachlässigen
Inzwischen sei dies aber nicht mehr so klar abzugrenzen: "Alte Grenzen zwischen professionellen Medien, Amateuren und Akteuren des Krieges verschwimmen durch die sozialen Netzwerke immer mehr." Dabei sei es aus ethischer Sicht zunächst positiv, dass Beteiligte etwa in Syrien oder im Irak selbst Videos und Fotos über das Internet verbreiten könnten. Denn gerade wenn die Arbeit vor Ort zu gefährlich sei, könnten Journalisten auf dieses Material zurückgreifen. "Sie müssen es aber verifizieren und in den Kontext einordnen. Die Gefahr ist groß, dass sie Propaganda und Falschinformationen aufsitzen."
Die vielen Echtzeit-Bilder trieben auch die etablierten Medien, immer schneller zu berichten. "Natürlich müssen die Medien mitmachen - aber nur ein bisschen", sagte Heesen. "Sie dürfen ihre klassischen Tugenden nicht deswegen vernachlässigen." Sie habe den Eindruck, dass die etablierten Medien über die Kämpfe um Mossul eher zurückhaltend berichteten und auf besonders grausame Bilder verzichteten.
Grundsätzlich rate sie Medien zu Transparenz, sagte Heesen. Sie sollten ihrem Publikum erklären, aus welchen Quellen sie sich bedienten und auch darauf hinweisen, was sie nicht wüssten oder verifizieren könnten. "Dieses Vorgehen wird sich auszahlen", fügte Heesen hinzu. "Die Nutzer werden es honorieren - sie werden dem Medium vertrauen."