TV-Tipp: "Stralsund: Vergeltung" (ZDF)

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TV-Tipp: "Stralsund: Vergeltung" (ZDF)
29.10., ZDF, 20.15 Uhr: „Stralsund: Vergeltung“
Ein Referendar macht mit seinen Internatsschülern einen Ausflug nach Cottbus - der Reisebus stoppt, weil ein finsterer Zeitgenosse eine Panne vorgetäuscht hat. Er erschießt den Fahrer und entführt eine Schülerin - die in enger Beziehung zu Kommissar Max Morolf steht.

Es gehört zum üblichen Krimimuster, einen Film mit zwei scheinbar grundverschiedenen Handlungsebenen zu beginnen; erst später stellt sich raus, dass die beiden Verbrechen zwei Seiten derselben Medaille waren. Weil Krimifreunde das aber meist beizeiten ahnen, zeigt sich die Qualität eines Drehbuchs nicht zuletzt in der Cleverness der Autoren: Wie lange gelingt es ihnen wohl, ihr Publikum im Unklaren zu lassen? Und wie geschickt sind die Ebenen miteinander verknüpft?

Die Bücher für "Stralsund", an denen trotz wechselnder Autoren stets Sven S. Poser beteiligt ist, waren bislang ausgezeichnet, weil sie weit mehr als bloß einen Vorwand für Spannung boten. Die Filme sind zwar packend umgesetzte Thriller, aber für die emotionale Bindung sorgen die Beziehungen zwischen den Figuren, denn die Zusammenarbeit im Kommissariat ist von tiefem gegenseitigem Misstrauen geprägt. Im letzten Film, "Schutzlos", wurde dieses Gefühl auf die Spitze getrieben, weil der Kollege Max Morolf (Wanja Mues) offensichtlich auf der Lohnliste eines Verbrechers namens Pawel stand. Jan Henrik Stahlberg hatte als Drahtzieher des Drogenkartells allerdings nur erstaunlich kurze Gastauftritte. In der Fortsetzung, "Vergeltung", spielt der Gangster mit Stil und ausgefallenem Hobby (er sammelt Schmetterlinge) eine ungleich größere Rolle, aber zunächst muss sich Nina Petersen (Katharina Wackernagel), die Heldin der Reihe, um andere Verbrechen kümmern.

Zuschauer tappen eine ganze Weile im Dunkeln

Der Film beginnt mit einer reizvollen Parallelmontage: Im Rahmen eines dank des Zusammenspiels von Kamera, Schnitt und Musik fesselnd inszenierten SEK-Einsatzes wird ein Mann (Heiko Pinkowski) festgenommen, der einen Giftanschlag geplant hat. Zur offenbar gleichen Zeit macht ein Referendar einen Ausflug mit Internatsschülern nach Cottbus. Auf halber Strecke wird der kleine Reisebus gestoppt: Ein finsterer Zeitgenosse (Robert Gallinowski) hat eine Panne vorgetäuscht, kassiert die Telefone der Schüler ein, erschießt den Fahrer und entführt eins der Mädchen.

Das auch schon für "Schutzlos" verantwortliche Drehbuchtrio Marianne Wendt, Sven Poser und Christian Schiller lässt die Zuschauer eine ganze Weile im Dunkeln tappen, ehe die Katze aus dem Sack darf: Die entführte 15jährige Lena (Audrey von Scheele) ist die Tochter der großen Liebe von Max Morolf. Die Frau war Pawels Sekretärin und ist vor einigen Jahren von seinem Killer Robak (Lucas Gregorowicz) ermordet worden, weil sie Morolf Informationen über den Drogenboss geliefert hatte.

Auf welcher Seite steht Morolf?

Mit geschickt integrierten Rückblenden werden die Ereignisse aus "Schutzlos" zusammenfasst: Robak hatte den Auftrag, eine Zeugin (Anja Antonowicz) zu eliminieren, die gegen Pawel aussagen soll. Weil Morolf Robak getötet hat, soll er nun den Job übernehmen; und da Pawel längst nicht mehr sicher ist, ob Morolf nach wie vor loyal ist, hat er als Druckmittel Lena entführen lassen. Selbst Abteilungsleiter Meyer (Michael Rotschopf), der seinen Zögling Morolf bislang immer gedeckt hat, geht auf Distanz; und Petersen traut außer ihrem versehrten Kollegen Hidde (Alexander Held) ohnehin niemandem mehr. Am Schluss haben fast alle Blut an den Händen. "Das ist das Ende", stellt Morolf fest; und zum Glück bezieht sich das nur auf diesen Fall. Alles andere wäre auch äußerst bedauerlich, zumal das Team mit dem vergleichsweise jungen Karim Günes (Karim Uthman) interessante Verstärkung bekommen hat. Geschickt nutzen die Autoren den Vorwand, um den neuen Kollegen und somit auch die Zuschauer an die Ereignisse aus "Schutzlos" zu erinnern.

Lars-Gunnar Lotz hat auch die letzten beiden "Stralsund"-Filme gedreht und setzt nahtlos das Niveau fort, das Martin Eigler mit seinen ersten fünf Episoden etabliert hat. Konsequent schöpft er das Potenzial aus, das ihm das Drehbuch liefert: Lange Zeit ist völlig offen, auf welcher Seite Morolf steht. Tatsache ist, dass er das Gift von dem geplanten Anschlag gestohlen hat. Die Polizei hat die Zeugin in einem Hotel versteckt; als Morolf dort auftaucht, schein außer Frage zu stehen, dass die Frau in größer Gefahr schwebt. Gleiches gilt natürlich für die entführte Lena. Immerhin gelingt es Petersen und Günes in einer fesselnd inszeniert Befreiungsaktion, das Mädchen zu retten. Trotzdem sieht es so aus, als könnte Pawel einen Tag vor Prozessbeginn seinen Kopf aus der Schlinge ziehen; aber das Drehbuchtrio hat noch einige Asse im Ärmel.