Das Drehbuch stammt von Stefan Kolditz, und schon das ist ein Versprechen; auch wenn der Stoff innerhalb der historischen Stoffe, durch die der Autor bekannt geworden ist ("Dresden", "Unsere Mütter, unsere Väter" "Nackt unter Wölfen"), ungewöhnlich wirkt. Versprechen Nummer zwei ist der Regisseur: Matthias Tiefenbacher (zuletzt "Der Tel-Aviv-Krimi") hat schon oft bewiesen, dass er auch aus leichten Stoffen große Filme machen kann. Für "Mutter reicht’s jetzt" gilt das ebenfalls, weil die Handlung einen liebenswerten Charme entwickelt. Da Kolditz rund um seine Hauptfigur ein ganzes Ensemble mit jeweils eigenen Geschichten gruppiert, war es umso wichtiger, dass auch die Nebenrollen erstklassig besetzt wurden.
Weil sich diese weiteren Figuren alle durch ein individuelles Drama auszeichnen, ist es umso erstaunlicher, dass sich der Film dennoch eine gewisse Unbeschwertheit bewahrt. Nicht minder kunstvoll ist die Verknüpfung der verschiedenen Ebenen, selbst wenn sie einem aus vielen anderen Ensemblefilmen bekannten Muster folgt: Seit 35 Jahren erduldet Barbara (Ulrike Krumbiegel) ihr Dasein an der Seite des doch eher bodenständigen Kfz-Meisters Karl Weller (Ernst Stötzner). Sein Hochzeitstagsgeschenk ist ein Grill mit allen Finessen. Sie überrascht ihn dagegen mit einer Reise in die Provence, aber Karl lehnt das Geschenk brüsk ab; es weckt alte Erinnerungen, die er längst erfolgreich verdrängt hätte, wenn ihm seine Knieverletzung nicht jeden Tag eine Mahnung wäre. Mit ähnlich skizzenhaft kurzen Szenen charakterisiert Kolditz Barbaras Beziehungen zu ihren beiden Kindern: Tochter Marie (Marie Leuenberger) ist auch mit knapp dreißig noch nicht im Erwachsenenleben angekommen und schafft es immer wieder, ihrer Mutter Geld abzuquatschen; Sohn Anton (Frederic Linkemann) ist ein biederer Autoverkäufer, der sich für was Besseres hält und seine Mutter bloß als Babysitterin betrachtet. Barbaras Rettung ergibt sich durch Zufall, als sie eine Anmeldung für die Volkshochschule findet. Der Französischkurs braucht noch einen fünften Teilnehmer, um überhaupt stattfinden zu können, und schon ist es um sie geschehen, zumal Kursleiter Alexander (Dominique Horwitz) eine sehr unkonventionelle Form der Lehrmethode pflegt: Er bringt den Teilnehmern nicht die Sprache, sondern die Lebensart bei, und würzt seine Unterrichtsstunden, die stets außerhalb der VHS stattfinden, mit Anekdoten, die offenkundig erfunden, aber trotzdem schöne Erzählungen sind. Am Ende werden die Kursmitglieder eigentlich nur gelernt haben, wie man jemanden formvollendet und äußerst unflätig beschimpft.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das typische Ensemblefilmmuster ergibt sich, weil sich die Gruppe als Ansammlung verkrachter Existenzen entpuppt, die mit dem Kursziel die Verarbeitung tiefer Verletzungen verknüpfen: Ex-Junkie Miriam (Lisa Wagner) will im Senegal ihren Sohn besuchen, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat; der schwule Türke Mehmet (Edin Hasanovic) will vor seiner Familie nach Kanada fliehen; Richard (Michael Wittenborn) hat einen Nazi-Vater, der einst als SS-Offizier in Frankreich ein Massaker befohlen hat; und Simon (Michael Kranz) möchte mit seiner Freundin in Frankreich ein Restaurant eröffnen, bringt es aber nicht übers Herz, seinen Eltern zu gestehen, dass er deshalb den Familienbetrieb nicht übernehmen kann. Barbara wiederum, die in der Folgezeit regelrecht aufblüht, hält ihre Kursteilnahme geheim, sodass Karl schließlich argwöhnt, sie habe ein Verhältnis.
Fünf Dramen also, und trotzdem bleibt "Mutter reicht’s jetzt" eine Komödie. Das Kunststück gelingt, weil es immer wieder kleine heitere Ereignisse am Rande gibt, die für die Geschichte nicht wichtig sind, für die Atmosphäre des Films aber sehr wohl. Neben Tiefenbachers Führung der ausnahmslos guten Darsteller sind es vor allem Bildgestaltung und Musik, die das Flair des Films ausmachen. Zusammen mit den sorgsam ausgewählten Chansons vermittelt auch die Komposition von Biber Gullatz und Andreas Schäfer viel französische Lebenskunst. Gerade "Non, je ne regrette rien" (Ich bereue nichts) von Edith Piaf und die damit verbundene Aussage, jederzeit wieder bei Null anfangen zu können, stehen für die Botschaft des Films. Klaus Merkel wiederum hat dafür gesorgt, dass die Geschichte in warmen, freundlichen Farben erzählt wird, ganz zu schweigen von den Fernwehbildern der Lavendelfelder, mit denen der Film Barbaras Sehnsucht nach einem anderen Leben illustriert. Und so ist "Mutter reicht’s" eine ebenso vergnügliche wie nachdenkliche Komödie geworden. Der Tenor à la "Als Mutter streikte" (1973) mag etwas angestaubt wirken, weil sich die Frauen aus Barbaras Generation vom Klischee des Hausmütterchens emanzipiert haben, aber das kaschiert Kolditz geschickt mit einer alten Schuld, die das Ehepaar verbindet.