Die Handlung klingt, als hätte sie sich die mittlerweile auch als Autorin lebhafter Familienromane erfolgreiche Andrea Sawatzki selbst ausgedacht. Tatsächlich stammt sie von Schauspielkollegin Edda Leesch, die sich seit einigen Jahren auf das Schreiben von Drehbüchern verlegt hat. Ihre Geschichten (zuletzt "Über den Tag hinaus") geben sich gern als Komödien aus, behandeln unter der zunächst locker-leicht wirkenden Oberfläche aber meist große menschliche Themen. Das ist bei "Zwei verlorene Schafe" nicht anders: Rebecca (Sawatzki) erzählt immer noch allen von ihrer großen Karriere, dabei liegen die besten Jahre der Schauspielerin, die einst durch eine TV-Serie bekannt geworden ist, längst hinter ihr. Niemand weiß das besser als ihre Mitbewohnerin und Ex-Kollegin Sina (Steffi Kühnert), die den Beruf längst an den Nagel gehängt hat und nun davon lebt, Menschen am Telefon als Wahrsagerin Kassandra zu belügen; Rebecca schuldet ihr sechs Monatsmieten. Aber nun scheinen sich die Dinge endlich zum Besseren zu wenden: Sie wird für ein Theaterstück engagiert. Um sich auf die Hauptrolle, eine Pfarrerin, vorzubereiten, bittet sie ihren alten Klassenkameraden Michael (Oliver Breite) um Hilfe; der hat es immerhin zum Bischof gebracht. Er selbst hat zwar keine Zeit für sie, schlägt ihr aber ein Geschäft vor: Sein Sohn Thaddäus (Franz Hartwig) ist Pfarrer, tut sich jedoch schwer mit seiner Arbeit; in der ohnehin leeren Kirche schlafen die wenigen Gottesdienstbesucher regelmäßig ein, wenn er predigt. Rebecca soll ihn rhetorisch schulen und dafür sorgen, dass er mehr aus sich herausgeht; bei der Gelegenheit kann sie Inspirationen für ihre Rolle sammeln. Michael verknüpft seine Bonuszahlung jedoch mit der Erwartung, dass sein Sohn am bevorstehenden Reformationstag vor vollem Haus eine flammende Predigt hält; ansonsten droht der Kirche die Schließung. Allerdings zeigt sich rasch, dass Thaddäus seinen Beruf nicht als Berufung betrachtet; er hat ihn nur um seines Vaters Willen ergriffen. Rebeccas Ausgabe ist praktisch unlösbar, zumal sie selbst kein religiöser Mensch ist. Als sich dann noch rausstellt, dass das kleine Theater sie gar nicht bezahlen kann, scheint sich alles gegen sie verschworen zu haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Zwei verlorene Schafe" ist derart auf Andrea Sawatzki zugeschnitten, als hätte Edda Leesch die Schauspielerin schon beim Schreiben vor Augen gehabt. Angenehm beiläufig lässt die Autorin diverse Fakten einfließen, die eine reizvolle Mischung aus Klischee und Wirklichkeit darstellen: Selbst als Ex-Star bedient Rebecca immer noch die typischen Gepflogenheiten des Metiers, aber auf dem Arbeitsamt wird ihr zur Umschulung geraten, wenn sie Hartz IV und Altersarmut vermeiden wolle. Während diese Ebene für einen wenn auch bitteren Humor sorgt, rücken die Szenen mit Thaddäus immer stärker ins Zentrum der Geschichte, weil die Aufgabe für Rebecca schließlich mehr als nur ein Job ist: Ausgerechnet sie, die Schauspielerin, erkennt, dass sie Thaddäus’ Seelenheil retten kann. Der Film entwickelt ohnehin immer wieder unvermuteten Tiefgang. Im Konfirmandenunterricht erzählt Thaddäus den Kindern, sie sollten sich weniger sorgen und mehr auf Gott vertrauen. Später stellt ihn der an ALS erkrankte Max (Chiron Elias Krase) zur Rede: Das sage sich zwar leicht, sei aber keine große Hilfe, wenn man damit rechnen müsse, den nächsten Schub nicht zu überleben.
Dass Sawatzki ihre facettenreiche Rolle scheinbar mühelos bewältigen würde, ist keine Überraschung. Umso bemerkenswerter ist die Leistung des praktisch unbekannten Franz Hartwig. Seine komplett spannungsfreie Körpersprache lässt ihn wie einen nassen Lappen wirken. Zum Glück verzichten Leesch und Regisseurin Sylke Enders auf den Clark-Kent-Effekt: In dem jungen Priester verbirgt sich keineswegs ein Superman, der bloß die Brille ablegen und ein Cape überstreifen muss, um die Welt zu retten. Thaddäus ist und bleibt ein Zweifler, aber dank Rebecca findet er die Kraft, ehrlich zu sich und seiner Gemeinde zu sein; und zu Isabelle (Sandra Ruffin), seiner stillen Liebe. Wie Leesch diese Liaison einfädelt, gehört zu den schönsten Ideen der Geschichte: Weil beide viel zu schüchtern sind, um sich ihre gegenseitige Zuneigung zu gestehen, muss Rebecca sie sanft zu ihrem Glück zwingen; und so wird aus der Tragikomödie ganz nebenbei noch eine Romanze.