Neugierig auf das Andere

Tafel der Religionen auf dem Gendarmenmarkt von oben
Foto: Archiv der Langen Nacht der Religionen
Tafel der Religionen auf dem Gendarmenmarkt
Neugierig auf das Andere
Die Zahl der Religionen und religiösen Gemeinschaften, die in Berlin vertreten sind, scheint schier unendlich zu sein. So überrascht es nicht, dass ausgerechnet hier bereits zum fünften Mal die Lange Nacht der Religionen stattfand. Und dass diese Veranstaltung in dieser Form und Größe europaweit einzigartig ist.

Beinahe 90 Kirchen, Synagogen, Moscheen, Tempel und Gemeindehäuser öffneten am Samstag ihre Türen für Besucher und Besucherinnen. "Die Lange Nacht der Religionen soll die Hemmschwelle senken, die Gottes- und Gemeindehäuser zu besuchen und sich über die verschiedenen Religionen kundig zu machen", erklärt Thomas M. Schimmel, der Koordinator des Initiativkreises, der die Veranstaltung organisiert. "Die Menschen sollen erfahren, was eigentlich hinter den Mauern der Gotteshäuser passiert. Ich gehe ja nicht einfach mal in den Hindu-Tempel. Vielleicht noch als Tourist - aber nicht um zu erleben, was die da eigentlich tun." Er betont, dass man keine Angst haben müsse, missioniert zu werden: "An diesem Abend kommt das nicht in Frage, an diesem Abend soll es wirklich um Informationen gehen, was machen die da eigentlich?"

An der Religionsnacht beteiligen sich außer Juden, Christen und Muslimen auch zahlenmäßig kleinere Gemeinschaften wie Hindus und Buddhisten oder Anhänger altgermanischer Kulte. Evangelikale Gemeinden sind wegen des Missionsverbots nicht dabei, wohl aber die Evangelische Kirche mit zehn Gemeinden und Institutionen.

200 Menschen an einer Tafel

Eröffnet wurde die Lange Nacht der Religionen am Gendarmenmarkt – und zwar bereits am Samstagmittag - mit einem großen gemeinsamen Essen, der sogenannten "Langen Weißen Tafel der Religionen". Besonders auffällig am 25 Meter langen Tisch sind die bunten Turbane (Dastar) der Sikhs des Gurdwara Sri Guru Singh Sabha-Tempels in Berlin-Reinickendorf und die weiße Kleidung der Gläubigen des Candomblé-Tempel Ilê Obá Sileké in Berlin-Kreuzberg. Die Angehörigen des afro-brasilianischen Candomblé schmücken die Tafel mit Blumen, die für sie ein "Schöpfungsgeschenk" sind, so Babalorixá Muralesimbe, der spirituelle Führer der Gemeinde. Die Sikh versorgen die Teilnehmenden mit Essen, so wie es auch in ihrem Tempel Tradition ist. Regelmäßig bieten sie ein gemeinsames vegetarisches Mahl (Langar) an. An diesem Samstagmittag füllen etwa 200 Menschen die Bänke auf beiden Seiten der Tafel. Eingeladen sind alle Menschen - Bürger, Touristen, Interessierte. Jeder und jede, die sich spontan dazu setzen mag, ist willkommen. Doch: "Die Menschen, die an der Langen Nacht der Religionen teilnehmen, stehen schon für Toleranz und Offenheit und dafür, Fremdheit zu überwinden", sagt Thomas M. Schimmel.

Generalsuperintendantin Ulrike Trautwein und der Vorstandsvorsitzende der Sehitlik-Moschee Ender Cetin in der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln.

Wie Fremdheit überwunden werden kann - das ist auch das Thema bei einer der letzten Veranstaltungen der Nacht. Eingeladen hat der interreligiöse Verein "Treffpunkt Religion und Gesellschaft e.V." in die ?ehitlik-Moschee unter der Überschrift: "Was können die Religionsgemeinschaften zur Integration beitragen?" Auf dem Podium sitzen VertreterInnen von Judentum, Christentum und Islam und aus der Politik. Einigkeit besteht bezüglich der Notwendigkeit von Integration: Brückenbauen sei wichtig.

Von "Protestidentitäten" und Berührungsängsten

Darauf, dass das nicht immer eine geradlinige Entwicklung ist, weist der Vorsitzende des Moscheevereins der ?ehitlik-Moschee, Ender Cetin, hin. Er konstatiert, dass es schon vor der aktuellen sogenannten Flüchtlingskrise Probleme gab, dass sich Deutsche und Türken respektive Deutschtürken erst jetzt, nach 40, 50 Jahren richtig anfangen kennenzulernen: "Erst waren sie Ausländer, dann Migranten und schließlich Moslems - was auch zu einer "Protestidentität" wurde. Jetzt merken sie durch die Flüchtlingsarbeit: Vielleicht kann ich doch Teil der Gesellschaft sein?"

Die Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin, Prof. Dr. Ulrike Kostka, unterstreicht die  Integrationsfähigkeit der Katholischen Kirche, verweist aber darauf, dass das Erzbistum in Berlin selbst auch "große Integrationsprobleme" habe: "Unser Erzbistum ist ein Migrationsbistum und das Verhältnis zu den muttersprachlichen Gemeinden ist nicht so wunderbar. In Berlin sind wir überdies an das Kopftuch gewöhnt, aber auf Usedom, da gibt es schon Berührungsängste."

Einig ist man sich darin, dass es Räume braucht, wo in der persönlichen Begegnung nicht nur über Verbindendes sondern auch Trennendes gesprochen wird. So sagt der Senior Advisor am Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, Micha Brumlik, dass es in geschützten Räumen möglich sein müsse, auch "offene, schwierige Fragen" zu stellen. Das bestätigt auch die Generalsuperintendentin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Ulrike Trautwein. Um solche Räume zu schaffen, sei vor einem Jahr in Berlin die Flüchtlingskirche eröffnet worden, als ein "spezieller Ort für diese Fragen des Miteinanders und auch der Auseinandersetzung."

Trotzdem wird in der anschließenden Diskussion auch Pessimismus laut: Wirkliche Begegnung braucht Zeit, braucht echten Austausch. Der sei aber noch immer eine Seltenheit, findet zum Beispiel die Teilnehmerin Elisabeth Kruse, Pfarrerin aus Neukölln. Die Lange Nacht der Religionen in Berlin könnte ein Schritt in diese Richtung sein. Vielleicht genau so, wie Organisator Thomas M. Schimmel es formuliert: "Ich würde mir schon wünschen, dass sich mehr Menschen vermischen und einfach neugierig auf das Andere sind."