Genf (epd). Zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser seien seit Ende März vermehrt im Visier der Konfliktparteien, sagte der Vorsitzende der UN-Untersuchungskommission zu Syrien, Paulo Sérgio Pinheiro, am Dienstag in Genf. Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des mehr als fünf Jahre dauernden Konflikts würden sich mehr und mehr zerschlagen.
Insbesondere in der umkämpften Metropole Aleppo habe die Gewalt nie dagewesene Ausmaße erreicht, sagte der brasilianische Diplomat bei der Präsentation des jüngsten Syrien-Reports seiner Kommission. Die Untersuchungskommission stellte fest, dass die Zahl der Verletzten und Toten in Aleppo in den vergangenen Monaten mit einer "alarmierenden" Rate gestiegen sei. Allerdings nannten die Experten keine Zahlen. Insgesamt schätzen UN-Funktionäre die Zahl der Toten seit Beginn des Konflikts 2011 in ganz Syrien auf mehr als 300.000.
Kommission: Viele Taten möglicherweise Kriegsverbrechen
Viele Gewalttaten stuft die Pinheiro-Kommission als mögliche Kriegsverbrechen ein, darunter Attacken auf medizinische Einrichtungen wie Entbindungsstationen, Kinderstationen und Notaufnahmen, die Blockade humanitärer Konvois, Verschleppungen, Folter und willkürliche Hinrichtungen. Die Ermittler machen die Truppen des Diktators Baschar al-Assad aber auch Rebellen für die Taten verantwortlich. Zusätzlich verschlimmert werde die Lage durch die Selbstmordattentate der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), die in den vergangenen Monaten eroberte Gebiete an andere Konfliktparteien verloren hat.
Pinheiro betonte, dass die möglichen Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Seine Kommission erstellte fünf Listen mit mutmaßlichen Verbrechern. Diese Listen, die beim UN-Hochkommissar für Menschenrechte lagern, sollen laut Pinheiro dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag oder einem speziellen Syrien-Tribunal übergeben werden. Mitglieder der Kommission wollten keine Namen möglicher Täter nennen.
Die Untersuchungskommission sammelt seit 2011 im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates Beweise für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien. Da sie in Syrien nicht ermitteln darf, ist die Kommission auf Gespräche mit Flüchtlingen, Deserteuren und anderen Zeugen außerhalb Syriens angewiesen. Die Fachleute führten rund 4.600 Interviews.