TV-Tipp: "Die Mutprobe" (ARD)

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TV-Tipp: "Die Mutprobe" (ARD)
14.9., ARD, 20.15 Uhr: "Die Mutprobe"
Bislang waren die Koproduktionen von MDR und ORF für den Mittwochssendeplatz im "Ersten" meist verkappte Freitagsfilme: mehr oder minder gut gelungene Rührstücke, wechselweise romantisch und melodramatisch. "Die Mutprobe" ist ein völlig anderes Werk: dank eines Drehbuchs (Holger Barthel), das sich unter völligem Verzicht auf jegliche Spekulativität zum bedrückenden Kern der Handlung vorarbeitet; dank einer Inszenierung (Ivo Schneider), die mit dem bedrückenden Sujet sensibel und behutsam umgeht; und dank der Hauptdarsteller, deren kontrolliertes Spiel diesem Rahmen in jeder Hinsicht angemessen ist.

Die auf dem gleichnamigen Roman von Lisa Lercher basierende Geschichte beginnt wie ein Beitrag zu dem Frauenfilm-Subgenre "Rückkehr in die Heimat": Sabine (Elisabeth Lanz), Familienrichterin in Wien, reist anlässlich eines Klassentreffens in das Städtchen, in dem sie aufgewachsen ist. Ausgerechnet an diesem Abend verschwindet die Tochter ihrer Jugendliebe Leonhard (Heio von Stetten). Während Polizei, Feuerwehr und schließlich auch das Militär nach dem Mädchen suchen, keimt in Sabine ein furchtbarer Verdacht: Wie sie selbst und ihre beste Freundin, die sich später umgebracht hat, so bekommt auch Leos Tochter Nachhilfeunterricht vom pensionierten Oberstudienrat Körbler (Peter Weck). Der war und ist bekannt dafür, dass er seine Finger nicht bei sich behalten kann. Außerdem hat er immer gern freizügige Fotos von den Mädchen gemacht. Und Körbler war der letzte, der das Kind gesehen hat.

 

Geschickt und vor allem subtil baut das Drehbuch die Spannung auf. Dass der von Weck mit sichtlichem Genuss gegen seine Großvater-Rollen verkörperte Lehrer in dieser Geschichte der Schurke ist, ahnt man zwar früh, doch das tut der dramaturgischen Spannung keinen Abbruch. Viel fesselnder ist ohnehin die Frage, wie Sabine dem Alten sein schmutziges Handwerk legen kann, denn es gibt keinerlei Beweise für sein widerliches Treiben. Bei ihren einstigen Leidensgenossinnen stößt sie auf eine Mauer des Schweigens, obwohl praktisch alle Frauen dem pädophilen Körbler als Kinder ausgeliefert waren. Und schließlich wird auch klar, warum der Oberstudienrat bei seinen Mitbürgern so einen enormen Respekt genießt: Er hat versprochen, das beträchtliche Vermögen seiner durch einen Schlaganfall seit vielen Jahren an den Rollstuhl gefesselten Frau nach ihrem Tod der Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Der Bürgermeister hat längst entsprechend hochfliegende Pläne und sorgt durch eine geschickte Strategie aus Geben und Nehmen dafür, dass niemand aus der Reihe tanzt.

Die Konstellation der Figuren ist natürlich eine andere, aber gerade die Zuspitzung der Handlung rückt die sich mehr und mehr verdichtende Geschichte in die Nähe des Dürrenmatt-Stücks "Der Besuch der alten Dame". Die Österreicherin Lanz, viel zu oft in Filmen mit wenig Anspruch besetzt ("Klinik unter Palmen"), verkörpert die mühsam hinter gesitteter Fassade unterdrückte Wut der Richterin, die seit Jahrzehnten unter ihren traumatischen Kindheitserlebnissen leidet, sehr berührend. Ähnlich intensiv spielt Heio von Stetten die zunehmende Verzweiflung des Vaters, der zwischenzeitlich sogar selbst in Verdacht gerät. Den Rest des Ensembles hat Regisseur Barthel mit hierzulande weitgehend unbekannten, aber ausgezeichneten Schauspielern besetzt. Auch die akzentuierte Musik (Yullwin Mak) und die ähnlich sparsame Bildgestaltung (Hermann Dunzendorfer) haben großen Anteil an der Qualität dieses Dramas.