TV-Tipp: "Mordkommission Istanbul: Im Zeichen des Taurus" (ARD)

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TV-Tipp: "Mordkommission Istanbul: Im Zeichen des Taurus" (ARD)
8.9., ARD, 20.15 Uhr: "Mordkommission Istanbul: Im Zeichen des Taurus"
Selbst eine reine Unterhaltungsreihe wie "Mordkommission Istanbul" kann in diesen Tagen nicht so tun, als spiele die Realität am Bosporus keine Rolle. Natürlich konnten die Produzenten die jüngsten Ereignisse in der Türkei nicht vorhersehen, als "Im Zeichen des Taurus" 2015 gedreht worden ist. Aber der Terror musste irgendwann in die Drehbücher einfließen. Das ist nun geschehen, und mit dem durchgehend spannenden ersten Zweiteiler der Reihe auch in angemessenem Umfang.

Der Terrorismus steht jedoch nur zu Beginn des ersten Teils im Vordergrund; danach liegt die Gefahr eines Anschlags gewissermaßen subkutan unter den Bildern. Tatsächlich stellt sich schließlich raus, dass Autor Clemens Murath, der den Qualitätswandel von "Mordkommission Istanbul" vor drei Jahren mit seinen Drehbüchern zu "Rettet Tarlabasi" und "Das Ende des Alp Atakan" eingeleitet hat, eine völlig andere Geschichte erzählt. Es hat seinen Grund, dass der Doppelfilm nicht "Im Zeichen des Terrors", sondern "Im Zeichen des Taurus" heißt, selbst wenn die phonetische Ähnlichkeit zwischen "Taurus" und "Terrors" kein Zufall sein wird. Trotzdem ist das Sujet durchaus mutig; angesichts der brisanten aktuellen Lage ist das Risiko hoch, dass die ARD den Film kurzfristig absetzen muss.

Davon abgesehen scheint sich die Reihe endgültig vom früheren Muster verabschiedet zu haben. Einzig die launige Titelmusik lässt noch erahnen, dass "Mordkommission Istanbul" vor acht Jahren als Zeitvertreibsfernsehen gestartet ist, in dem die Dialoge zwischen dem Helden Mehmet Özakin (Erol Sander) und seinem loyalen Partner Mustafa (Oscar Ortga Sánchez) für Heiterkeit und die Eheszenen des Kommissars für einen gewissen Wohlfühlfaktor sorgten. Witzig sind die Filme schon seit dem Qualitätsschub vor zwei, drei Jahren nicht mehr, und nun ist auch Özakins heimeliges Wohlbefinden bedroht: Gattin Sevim (Idil Üner) will eine Veränderung in ihrem Leben und bewirbt sich um eine Stelle in Berlin. Dass sich ihr Mann zu einer Informantin hingezogen fühlt, bestärkt sie in ihrem Entschluss. Die attraktive Dilara (Alice Dwyer) sorgt auf diese Weise dafür, dass der private Nebenschauplatz stets Teil der Krimihandlung bleibt: Dilaras Bruder Ibrahim (Johannes Klaußner) hat sich offenbar einer islamistischen Terrorgruppe angeschlossen. Özakin stößt auf die Spur der Zelle, als die Leiche eines Bankangestellten gefunden wird. Der Mann hatte zuvor viel Geld abgehoben, das nun bei den Islamisten gelandet ist. Es stammt von Cem Pascha (Alexander Hörbe), einem Bestsellerautor, der offenbar erpresst worden ist; Dilara ist seine Assistentin. Später wird auch noch Paschas Frau entführt. Im zweiten Teil, als der einflussreiche Geschäftsmann Öker (Özdemir Çiftçio?lu) ins Spiel kommt und sich endlich rausstellt, worum es wirklich geht, bewegt sich die Handlung allerdings in eine derart andere Richtung, dass der Schriftsteller, sein Geld und die Entführung immer unwichtiger werden.

Schillerndste Figur und ein großartiger Gegenspieler für Mehmet Özakin ist Oberst Tarkan vom türkischen Geheimdienst, der immer wieder in die Ermittlungen eingreift, weil seine Behörde für den Terror zuständig ist; in jeder Hinsicht, wie sich zeigt. Anatole Taubmans Spiel lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass dieser Mann eine mehr als nur zwielichtige Rolle in dem immer undurchsichtiger werdenden Komplott einnimmt, bei dessen Aufklärung Özakin ständig an Grenzen stößt: Nach und nach sterben ihm alle Zeugen weg, er selbst kommt zweimal nur knapp mit dem Leben davon. Dass der Oberst und der Kommissar einst im selben Waisenhaus aufgewachsen sind, gibt der Konfrontation zusätzlichen Reiz.

Anerkennung gebührt auch Bruno Grass, für den dieses Projekt die mit Abstand größte Herausforderung dargestellt haben dürfte; in seiner überschaubaren Filmografie (diverse Folgen "Soko Wismar") fällt vor allem "Harry nervt" (2013) auf, eine sehenswerte Familienkomödie mit Günther Maria Halmer. Mit "Im Zeichen des Taurus" zeigt Grass, dass er auch Thriller kann: Selbst am Stück sind die 180 Minuten durchgehend spannend. Die Dramaturgie des Auftakts ist allerdings in den letzten Jahren so oft verwendet worden, dass sie mittlerweile zum Versatzstück verkommen ist: In einem nicht mehr genutzten Bahnhof entdeckt Özakin eine Bombe, deren Countdown soeben abläuft. Es folgt jedoch keine Explosion, sondern ein Schnitt: "Zwei Tage vorher". Und das im Stil eines Italo-Westerns gestaltete Finale wirkt, als hätte sich Grass damit einen Jugendtraum erfüllt. Trotzdem ist die Inszenierung auch dank der Bildgestaltung bemerkenswert; dabei ist Kameramann Jonas Schmager ("Kriegerin") kaum erfahrener als der Regisseur. Die verschiedenen Actionszenen sind in jeder Hinsicht überzeugend, zumal Sander offenbar einige Male Kopf und Kragen riskiert hat. Besonders gelungen sind die Zwielichtaufnahmen, in denen Schmager mit sorgfältig platzierten Lichtinseln für eine spezielle Atmosphäre sorgt. Ähnlich bedeutsam ist die Musik von Bertram Denzel, der den Krimi mit einem deutlichen Thrillerfaktor versieht. Und weil Istanbul dank diverser Panoramablicke als moderne Metropole gezeigt wird, ist ein Abstecher ins archaische Kapadokien mit seinen bizarren Felsformationen umso faszinierender.

Ein paar kleinere Ungereimtheiten...

Obwohl die Geschichte ausgesprochen detailfreudig und handlungsreich ist, gibt es ein paar kleinere Ungereimtheiten, und der Wortführer der Islamisten, ein ausgesprochen finsterer Bursche (Branko Tomovi?), entspricht mit seinem stechenden Blick allzu sehr dem Fanatikerklischee. Umso hübscher sind die kurzen Momente der Entspannung, wenn Mustafa fast in Trance verfällt, als die hübsche junge Tochter (Ava Çelik) des Großhändlers Öker mit ihm flirtet, oder wenn Grass es zwischen Özakin und Dilara knistern lässt. Aber diese Szenen sind die Ausnahme, zumal das emotionale Engagement den Kommissar entsprechend verletzlich macht. Spätestens am Schluss, als sich der Qualm verzogen hat und der sonst stets wie aus dem Ei gepellte Özakin in jeder Hinsicht ramponiert ist, wird klar, dass es in diesem Film nur Verlierer gibt.