Gottesdienste zur Einschulung haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen – sie sind quasi zu einer Kasualie, einer Feier an einem Lebensübergang, geworden. Für den Schulanfang wünschen sich viele Eltern für ihre Kinder eine religiöse Begleitung: Sie sollen behütet in den neuen Lebensabschnitt gehen, in dem sie Leistung bringen und selbständiger werden müssen. Christlich-ökumenische Gottesdienste sind in vielen Dörfern oder Stadtteilen Standard. Doch wo muslimische (seltener auch jüdische) Kinder eingeschult werden, wagen sich Gemeinden und Schulen zunehmend auch an inter- oder multireligiöse Gottesdienste oder Feiern heran.
Mit der Bezeichnung kommt schon eine erste Frage auf: Darf man eine solche Feier "Gottesdienst" nennen? Ja, wenn es ein christlicher Gottesdienst mit Gästen aus anderen Religionen ist. Das wird meist dann so gehandhabt, wenn Einschulungsgottesdienste seit Jahren fest etabliert sind und neuerdings einige wenige muslimische Familien dazukommen. Doch sobald die Anteile ungefähr gleich groß sind, wäre es passender, von "religiösen Feiern" zu sprechen. "Interreligiös" stimmt dann, wenn die Akteure gemeinsam handeln, wenn also Lesungen, Gebete und Lieder im Namen aller anwesenden Religionsgemeinschaften gesprochen und gesungen werden. Doch dabei bestehe die Gefahr der "Vermischung von religiösen Vorstellungen, woraus sich Unklarheiten oder sogar Verletzungen für Mitwirkende oder Besucher ergeben können", heißt es in einer Orientierungshilfe der liturgischen Konferenz der EKD mit dem Titel "Mit anderen feiern – gemeinsam Gottes Nähe suchen".
Eine Lösung wäre, die Feier "multireligiös" zu nennen und die jeweils eigenen Äußerungen der Religionsgemeinschaften nebeneinander stehen zu lassen – in dem Wissen, dass es Unterschiede gibt. Man solle darauf achten, dass "muslimische und christliche Beiträge klar einer der beiden Traditionen zuzuordnen sind", empfiehlt die liturgische Konferenz. "Denn eine gemeinsame islamisch-christliche Religion existiert nicht, und Schülerinnen und Schüler würden durch eine solche Praxis schlicht fehlinformiert." Hilfreich ist es, wenn die Schule als Veranstalterin auftritt und die Feier auf neutralem Boden – in der Aula oder Turnhalle – stattfindet.
Segnen bedeutet "ansehen"
Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck hat in ihr neues "Werkbuch Einschulungsgottesdienste" praktische Checklisten aufgenommen, an denen sich Vorbereitungsteams orientieren können: Wie soll der Raum gestaltet werden? Wie machen sich die einzelnen Religionen sichtbar? In welcher Form soll der Segen zugesprochen werden? Dabei betont die Landeskirche mehrfach, dass nicht während der Feier liturgische Formen erklärt werden sollten: "Die Feiernden sollen – möglichst ohne Erläuterung – im Vollzug das Besondere des Miteinanders der beteiligten Religionen im Fall der Einschulung erleben können." Zeichen und Symbole wie Kerzen, Gongschläge oder Blumen eignen sich gut, weil sie ohne Erklärung "funktionieren", religiöse Symbole wie das Kreuz, die Mondsichel oder der Davidstern sollten entweder gleichrangig oder gar nicht sichtbar sein.
Die Evangelische Kirche von Westfalen, in deren Gebiet es viele Orte mit hohem Anteil muslimischer Familien gibt, empfiehlt in ihrem Materialheft "Multireligiöse Feiern zum Schulanfang", dass an der Vorbereitung möglichst alle gleichberechtigt beteiligt werden sollten, also Pfarrerin und Iman (seltener: Rabbiner) und Religionslehrer. Der gemeinsame Bezug der Feier sollte im Vordergrund stehen: "Welche Ängste und Befürchtungen, welche Hoffnungen und welche freudigen Erwartungen verbinden die betroffenen Menschen mit dem Schulanfang?" Menschen aller Religionen hätten in Umbruchssituationen ein Bedürfnis nach "Begleitung, Ermutigung und Schutz".
Kein Wunder, dass vielen – vor allem christlichen – Kindern und Eltern der Segenszuspruch im Verlauf der Feier besonders wichtig ist. In der muslimischen Tradition ist ein Zuspruch von Segen an Einzelne nicht bekannt, "aber auch nicht verboten", sagt Imam Ercan Yüksekkaya von der Hamburger Centrum-Moschee. "Das Kind wird diesen Moment wahrscheinlich nicht vergessen", vermutet Yüksekkaya und lässt sich deswegen gern auf das jüdisch-christliche Ritual ein. "Die hebräische Wortwurzel für Segnen bedeutet 'ansehen'", erklärt die Broschüre aus Westfalen. "Die uralte Geste des Segens antwortet damit auf menschliche Bedürfnisse, die für Menschen das ganze Leben hindurch grundlegend bleiben: Zuwendung erfahren und angesehen werden, angesprochen und anerkannt werden."
Geklärt werden sollte vor einer religiösen Feier, welche Worte beim Segen gesprochen werden und wer ihn wem zuspricht: Akzeptieren muslimische Familien die Handauflegung durch einen christlichen Pfarrer? In Hamburg-Dulsberg, wo es seit vier Jahren christlich-muslimische Feiern zur Einschulung gibt, kam es von den muslimischen Eltern bisher mehr Lob als Kritik, berichtet Imam Yüksekkaya. Hier kommen die Kinder klassenweise nach vorn und der Zufall entscheidet, welches Kind vom Imam und welches von der Pastorin gesegnet wird. "Das Verbindende ist uns eben auch wichtig", betont Maren Wichern, Pastorin der evangelischen Kirchengemeinde in Hamburg-Dulsberg.
Darf man "Jesus" und "Allah" sagen?
Dass der Segenszuspruch auch schiefgehen kann, hat der Marburger Theologie Marcell Saß erlebt, als er im Rahmen seiner Forschung eine Feier in Dortmund besuchte. Eine unglückliche Formulierung der Pfarrerin habe dort Unsicherheit hervorgerufen: Die evangelischen Kinder sollten zu ihr kommen, die katholischen zum Priester und die "türkischen" zum Iman, sagte sie. Daraufhin gab es einige (muslimische, aber nicht türkische?) Kinder, die nicht wussten, wohin. Die Szene macht deutlich, wie notwendig eine sorgfältige gemeinsame Vorbereitung ist. Die zentralen Begriffe müssen ebenso klar sein wie die Verständigung darüber, ob man "miteinander" oder "nebeneinander" feiert. Dem Hamburger Imam Ercan Yüksekkaya ist es wichtig, dass Texte für die Lesungen vorher gemeinsam ausgewählt werden. "Wir nehmen Geschichten, die in Bibel und Koran auftauchen, zum Beispiel über Abraham oder Moses", erklärt er.
Ganz wichtig ist es, eine Gottesanrede zu finden, die für alle passt. Das christliche Votum "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" ist für Muslime und Juden problematisch. In Hamburg-Dulsberg wird die Feier trotzdem damit begonnen, es folgt die Basmala "Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes". Dazu wird jeweils eine Kerze angezündet, und bei der dritten Kerze sagen Pastorin Maren Wichern und Imam Ercan Yüksekkaya gemeinsam "Amen". Fürbitten können – wie in Dortmund – mit "guter Gott" eingeleitet werden. Ob der Begriff "Allah" für die Christen okay ist, muss vorher besprochen werden. In Hamburg ist das kein Problem: Dort singen alle zum Schluss 'Segne, Allah, tausend Sterne', berichtet Pastorin Maren Wichern – eigentlich steht "Vater" im Text.
Für Gebete gilt solcher Zweifel umso mehr. "Ein Jude kann nur als Jude, eine Christin nur als Christin, ein Moslem nur als Moslem beten", ist die Westfälische Landeskirche überzeugt. "Nicht nur die Achtung vor der eigenen Glaubenstradition, sondern auch die Achtung vor den Glaubensüberzeugungen der anderen gebietet es daher, mit Gebetstexten sehr sensibel umzugehen." Während die einen beten, sollten die anderen besser nur zuhören. "Auf jeden Fall sollten Anliegen, Form und Inhalt der Gebete zuvor von allen Beteiligten besprochen werden", empfiehlt die liturgische Konferenz in ihrer Orientierungshilfe. In Dortmund lief das unproblematisch: Das Fürbittengebet wurde von den drei Geistlichen gemeinsam gesprochen und dabei wurde "auf die Kinder, Eltern und Lehrer Bezug genommen", berichtet Marcell Saß.
Die Kinder stehen bei allem im Mittelpunkt, das betont auch Imam Ercan Yüksekkaya. Gemeinsamen Einschulungsfeiern findet er – gerade in Hamburg – "notwendig, um miteinander leben zu können". Die Grundschüler sollten sehen und verstehen: "Aha - ein Imam und eine Pastorin können nebeneinander stehen." Nur wer beide Religionen kenne, könne sich als Jugendlicher für eine entscheiden. So würden multireligiöse Feiern in der Schule übrigens einer Radikalisierung vorbeugen, ist Yüksekkaya überzeugt. Auch die Westfälische Landeskirche sieht in solchen Feiern "die Chance, Frieden, Toleranz und Versöhnung einzuüben".