"Wir müssen miteinander reden, auch wenn es wehtut"

Carsten Rentzing im Gespräch
Foto: epd-bild/Matthias Rietschel
Der evangelische Landesbischof Sachsens, Carsten Rentzing
"Wir müssen miteinander reden, auch wenn es wehtut"
Sachsens Bischof Rentzing: Klare Absage an fremdenfeindliche Gewalt
Der evangelische Landesbischof Sachsens, Carsten Rentzing, ist am 1. September ein Jahr im Amt. Im Gespräch zieht er Bilanz - über fremdenfeindliche Auswüchse, über seine Position als konservativer Lutheraner und den innerkirchlichen Streit um den Umgang mit Homosexualität.
23.08.2016
epd
Katharina Rögner und Thomas Schiller

Herr Landesbischof, seit einem Jahr sind Sie im Amt - ein Jahr, das geprägt ist durch die Flüchtlingskrise. Warum sind ausgerechnet so viele Sachsen feindselig gegenüber den Menschen eingestellt, die hier Schutz suchen?

Carsten Rentzing: Durch verschiedene Konstellationen sind negative Einstellungen in Sachsen deutlicher sichtbar geworden als anderswo in Deutschland. Das hat uns bedrückt und auch in der Kirche sehr beschäftigt. Die Ortsnamen Freital oder Heidenau haben eine zweifelhafte Bekanntheit erreicht. Die "Pegida"-Bewegung war vor einem Jahr schon im Abflauen begriffen und hat aber dann einen Kanal für viele Unzufriedene geboten. Das hat die Stimmungslage radikalisiert. Man kann aus Sachsen aber auch zahllose positive Beispiele der Aufnahmebereitschaft bringen. Ich bin sehr froh darüber, dass in der Kirche so viele Ehren- und Hauptamtliche einsatzbereit waren und sind.

Wie weit erreicht der Rechtspopulismus auch die Kirche?

Rentzing: Wir haben es mit allgemeingesellschaftlichen Fragen zu tun, über die vielleicht zuvor zu wenig debattiert worden ist: Was prägt uns als Gesellschaft? Welche Grundwerte setzen wir voraus, an denen wir nicht deuteln lassen wollen? Was sind die Bedingungen unseres Zusammenlebens? Das sind Dinge, die brennen auch unseren Gemeindemitgliedern auf den Nägeln. Und natürlich gibt es da auch die verschiedenen Auffassungen: Sind die Grenzen der Belastbarkeit erreicht? Wie weit können wir Flüchtlinge aufnehmen? Die gesamte Debatte spiegelt sich in unseren Gemeinden.

Gibt es eine rote Linie für Sie, an der sich scheidet, was noch tolerierbar ist und was nicht?

Rentzing: Das hat eine formale und eine inhaltliche Seite. Formal würde ich sagen: "So benimmt man sich nicht, erst recht nicht, wenn man vom Evangelium Christi her sein Leben führen möchte." Das verbietet bestimmte Ausdrücke und Formen der verbalisierten Gewalt. Da muss die Kirche sagen: So geht es nicht. Inhaltlich haben wir als Christenheit ebenfalls klare Kriterien: Der Geist der Barmherzigkeit ist ein ganz wesentlicher Maßstab, und er setzt inhaltliche Grenzen. "Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht nicht nur im Grundgesetz, sondern bringt auch vieles von dem zum Ausdruck, was unseren Glauben auszeichnet.

"Wir können es uns nicht leisten, die Gesellschaft an dieser Stelle auseinanderbrechen zu lassen"

Wie bilanzieren Sie den Versuch, in der Dresdner Kreuzkirche ein Forum für den Diskurs zu bieten?

Rentzing: Wir müssen miteinander reden, auch wenn es einem wehtut, weil man es fast nicht mehr ertragen kann. Wir können nicht große Teile der Gesellschaft einfach an den Rand schieben, das würde nicht zu einer Entspannung beitragen. Die Auseinandersetzung in Dresden und anderswo muss fortgesetzt werden. Es kann von Ort zu Ort unterschiedliche Antworten geben, wie diese Debatte geführt werden muss. Aber sie muss geführt werden. Wir können es uns nicht leisten, die Gesellschaft an dieser Stelle auseinanderbrechen zu lassen.

Wie sieht Ihre Zwischenbilanz des ersten Jahres als Landesbischof aus? Was waren die positiven Überraschungen des ersten Jahres, wo liegen die Probleme und Herausforderungen?

Rentzing: Im Rückblick habe ich alles mit Freude gemacht. Ich habe versucht, alle Regionen der Landeskirche zu besuchen. So bin ich weit durch das Land gekommen. Es liegt mir viel daran, den Kontakt zu den Gläubigen vor Ort aufrecht zu erhalten.

Was bringen Sie aus den Gemeinden mit?

Rentzing: Natürlich kritische Rückfragen, aber in einem erstaunlichen Maße ein inneres Verständnis, dass es die Notwendigkeit zur Bewegung gibt: Wir können nicht so weiterarbeiten, wie wir es seit Jahrzehnten gemacht haben. Wir müssen mit den Ressourcen haushälterisch umgehen und die Frage beantworten: Wie können wir den kommenden Generationen die Verkündigung des Glaubens gewährleisten - möglichst flächendeckend und möglichst in der gesamten Bandbreite. Das ist eine Gestaltungsaufgabe, die nicht zentralistisch von Dresden aus, sondern von den Menschen vor Ort geleistet werden muss.

Müssen im Zuge der anstehenden Reformen auch Pfarrstellen gestrichen werden?

Rentzing: Wir kennen die demografische Entwicklung, und wir wissen, wie viele Gemeindeglieder wir brauchen, um eine Pfarrstelle zu tragen. Und in unseren Hochrechnungen müssen wir von Kürzungen ausgehen. Konkrete Zahlen, wie viele Pfarrstellen wir künftig brauchen, werden gerade von einer Arbeitsgruppe ermittelt.

Ihre Wahl war auch für Sie selbst überraschend. Das theologisch konservative Lager, dem Sie zugerechnet wurden, hatte in der Synode keine Mehrheit. Wie würden Sie heute Ihre Position angesichts der verschiedenen Strömungen verorten?

Rentzing: Ich bin das, was ich immer war - ein konservativer Lutheraner. Diese theologische Auffassung trage ich in die Kirche ein, aber ich bin natürlich auch Landesbischof und für alle zuständig. So habe ich auch mein Pfarramt immer verstanden. Wir führen theologische Debatten, und da müssen wir uns mit Gesicht zeigen. Dafür war die Wahl vielleicht ein Ausdruck: Man hat sich keinen nur diplomatisch veranlagten Menschen gewünscht, der jede Überzeugung so formulieren kann, dass er unerkennbar wird.

Aus dem evangelikalen Umfeld war Ihre Wahl mit vielen Hoffnungen verbunden worden. Wie ist Ihr Verhältnis zur evangelikalen Bewegung?

Rentzing: Ich selber habe mich nie selbst als Evangelikaler bezeichnet. Konservativer Lutheraner gefällt mir eher, aber das hilft in öffentlichen Debatten nicht, weil das keiner richtig zuordnen kann. Daher habe ich nichts dagegen, wenn ich in der Öffentlichkeit als Evangelikaler wahrgenommen werde.

"Trauung wird es nicht geben"

Ein Kristallisationspunkt des Streits war in den vergangenen Jahren die Beschäftigung homosexueller Pfarrer und das Zusammenleben mit ihren Partnern im Pfarrhaus. Hat die sächsische Kompromisslinie, dass darüber vor Ort in den Gemeinden entschieden werden soll, auf lange Sicht Bestand?

Rentzing: Ich glaube, der Kompromiss wird längere Zeit Bestand haben. Es haben sich die Wogen geglättet, weil Befürchtungen nicht eingetreten sind. Vielleicht lag die Kirchenleitung nicht so falsch - ich gebe zu, dass ich selbst da skeptisch war und auch theologische Nachfragen hatte und habe. Aber ich glaube, dass man mittlerweile einen Modus Vivendi gefunden hat.

Welche Anfragen sind bei Ihnen geblieben?

Rentzing: Es sind die üblichen theologischen Anfragen, was die Lebensordnung unserer Kirche zulässt und was in den Verkündigungsdienst hineinragt. Die Fragen bleiben bei vielen, und andere sehen es anders. Das ist austariert worden.

Im Rheinland, in Hessen-Nassau, in Baden und in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz - und damit auch in einem Teil des Freistaats Sachsen - können Schwule und Lesben getraut werden. Wäre das auch in der sächsischen Landeskirche denkbar?

Rentzing: Trauung wird es nicht geben. Das glaube ich nicht. Aber über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare müssen wir weiter reden, das habe ich schon bei meiner Wahl gesagt. Es muss möglich sein, bei aller damit verbundenen Schwierigkeit die Position gegen eine öffentliche Segnung zu vertreten, und wir müssen daneben die Möglichkeit schaffen, sich für Segnungen auszusprechen. Das wirkt nach der Quadratur des Kreises.

Das heißt, dass es durchaus Tourismus geben kann zu Orten und Gemeinden, wo eine Segnung möglich ist und zu Landeskirchen, wo Trauungen erlaubt sind?

Rentzing: Real betrachtet gibt es jetzt schon Trauungstourismus, das wissen wir. Und das ist bedauerlich. Es gibt das aber auch innerhalb von westdeutschen Landeskirchen. Wenn unterschiedliche Wege beschritten werden, ist das nicht schädlich. Ich vertrete in dieser Landeskirche eine Position, die noch vor zehn Jahren von fast allen vertreten worden ist. Wir können die Frage bisher theologisch nicht endgültig beantworten. Wir müssen vielleicht die Frage noch aussitzen und dem Heiligen Geist die Chance geben, dass er uns irgendwann das gemeinsame Wort zu diesem Thema schenkt.