Knapp daneben: Endzeit-Visionen von Nostradamus & Co.

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Fünf vor Zwölf: Viele selbsternannte Seher sagten in den vergangenen Jahrhunderten das Weltende voraus.
Knapp daneben: Endzeit-Visionen von Nostradamus & Co.
Nicht nur die Zeugen Jehovas, sondern eine Vielzahl selbsternannter Seher sagten in den vergangenen Jahrhunderten das Weltende voraus. Einer der berühmtesten war der Franzose Nostradamus. Aber auch er lag falsch.

"Im Jahr 1999, im siebten Monat, wird der große Schreckenskönig vom Himmel kommen. Er bringt den König der Mongolen zurück. Danach herrscht Krieg." - Nostradamus

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"Für Ende Mai 2011 machte Harold Camping keine Termine mehr", scherzte die Nachrichtenagentur dpa vergangenes Frühjahr. Der Rundfunkprediger aus den USA war in einer Mischung aus Interpretation der biblischen Johannes-Offenbarung mit eigenen "Visionen" davon überzeugt, dass Jesus Christus am 21. Mai wiederkehre und der Weltuntergang definitiv bevorstehe. Als selbiger erkennbar ausblieb, berichtigte er sich: "Am 21. Oktober 2011 passiert es wirklich." Nach dem dritten Versuch waren es sogar die Irrationalem gegenüber stets aufgeschlossenen US-Medien leid, derlei weiterzuverbreiten.

Und dann war da noch der ausgefallene Weltuntergang nach dem angeblichen Ende des Maya-Kalenders am 21. Dezember 2012. Das Bedürfnis nach Hellseherei und den gern zitierten "Dingen zwischen Himmel und Erde", von denen sich der menschliche Verstand keine Vorstellung macht, ist seit jeher groß. Erstaunlich nur, dass ausgerechnet die ebenso beliebte wie stets aufs Neue widerlegte Endzeitprophezeiung bis heute immer wieder auflebt, aller Aufklärung und modernen Wissenschaftlichkeit zum Trotz.

Immer wieder: das Ende der Welt

So stand auch Harold Camping in einer langen Tradition:

  • * Astronomen erwarteten für das Jahr 1169 den großen Crash, weil sich damals alle Planeten in einem einzigen Sternbild - der Waage - versammelten.

  • * Ähnliches am 1. Februar 1524: An diesem Datum begegneten sich die Planeten Jupiter, Saturn und Mars im Sternbild der Fische - die Sintflut stehe bevor, hieß es. 20.000 Londoner sollen sicherheitshalber auf die umliegenden Hügel geflohen sein.

  • * Der amerikanische Baptistenprediger William Miller verkündete 1818 den 21. März 1844 als Tag des Jüngsten Gerichts. Hunderttausende glaubten ihn und verschenkten Hab und Gut. Seitdem gibt es die Sekte der Adventisten.

  • * Der Vorbeiflug des Halleyschen Kometen am 17. Mai 1910 soll Tausende Menschen in Europa zur Beichte ihrer Sünden veranlasst haben, Hunderte begingen aus Angst vor dem Tod Selbstmord, heißt es.

  • * 1953 sollte laut Buchautor David Davidson die Erde untergehen - er habe den Pyramiden Geheimbotschaften entnommen.

  • * Ebenfalls die Pyramiden zog der schottische Astronom Piazzi Smyth als Beleg dafür heran, 1960 gehe die Welt unter.

  • * Am 18. November 1978 brachte der im Dschungel Guyanas residierende Sektenführer Jim Jones 923 seiner Mitglieder dazu, kollektiven Selbstmord zu begehen, weil das Ende bevorstehe. Er selbst starb an einer Schussverletzung.

  • * Auch der erwähnte Harold Camping sagte vor Millionen TV-Zuschauern das Ende von allem voraus: Im September 1994 sei es so weit.

"Die alte Dame wird von ihrem Platz stürzen"

Der wohl berühmteste Warner vor dem Weltende aber ist der 1503 geborene Renaissance-Prophet Michel de Nostredame, genannt Nostradamus. Er hatte finstere Ahnungen im Gepäck, und dass uns die bis heute beschäftigen, geht auf das Konto von Katharina von Medici, Frankreichs italienische Königin. Sie holte den ein unbeachtetes Provinzdasein fristenden "Seher" an den Hof und verschaffte ihm Ruhm in der Hauptstadt und weit darüber hinaus. Als er eher unabsichtlich den Tod ihres Gatten, Heinrich II., drei Jahre vor dessen Eintreten, in verschlüsselten Worten voraussagte, brachte ihm das nicht nur Ansehen, sondern auch eine stattliche Leibrente ein.

Doch erst, nachdem Nostradamus schon lange selbst tot war, begannen Hellseher-Gläubige in ganz Europa damit, seine hinterlassenen Verse zu interpretieren. "Im Jahr 66 wird London abbrennen. Die alte Dame wird von ihrem Platz stürzen", heißt es dort etwa. Und tatsächlich: 1666 – übrigens genau 100 Jahre nach Nostradamus' Tod – verwüstete ein Feuer die englische Hauptstadt, als "alte Dame" wurde die St. Paul's Cathedral angesehen. Ein Beweis für seine seherischen Fähigkeiten?

Im 20. Jahrhundert, als Okkultismus und Astrologie zu neuer Blüte erwuchsen, wurde Nostradamus ein Star der Esoterik-Szene, die seinen Schriften exakte Prophezeiungen sämtlicher bedeutender Weltereignisse meinten entnehmen zu können - Attentate, Mondlandungen, sogar der Aufstieg Adolf Hitlers. Da spielte es schon keine wesentliche Rolle mehr, dass bei Nostradamus nicht von Hitler, sondern von "Hister" die Rede ist, dem Wort für den Fluss Donau.

Wohlfeile Interpretationen im Nachhinein

Dass Nostradamus von seinen jüdischen Vorfahren die Praxis der mystischen Kabbala-Tradition übernahm, ist wahrscheinlich. Dafür, dass er die Zukunft voraussah, fehlt allerdings jeder Beleg. Seine Anhänger ordnen nämlich in bester Astrologie-Tradition stets zurückliegende Ereignisse seinen 942 bildreichen Vierzeilern zu.

So wird aus dem "großen Mann", dem "von oben Unheil" zugefügt wird, glasklar John F. Kennedy, der öffentlich verantwortlich gemachte "Unschuldige" ist – logisch – Lee Harvey Oswald. Was trotz einer Flut von Nostradamus verherrlichender Literatur bis heute ausbleibt, sind exakte Zukunftsprognosen, die sich entsprechend überprüfen ließen.

"All seinen Konkurrenten", zitiert die Skeptiker-"Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) e. V." den Nostradamus-Biografen Frank Rainer Scheck, "hatte er das Prinzip voraus, sich nie allzu weit aus seiner prophetischen Deckung hervorzuwagen, sondern sich zu behaupten in einer mit Namen und Scheindaten gesättigten Unklarheit, die alles verraten konnte, aber nichts verriet."

Nichts los "im siebten Monat". Im achten passierte auch nichts

Am spektakulärsten geriet Nostradamus' Weltuntergangsprophezeiung für den "siebten Monat des Jahres 1999", für den er die himmlische Rückkehr des "großen Schreckenskönigs" erwartete. Seine Anhänger rätselten: Handelte es sich um Atombomben? Um Himmelskörper? Oder Ufos? Der Geologe und Nostradamus-Forscher Prof. Alexander Tollmann war von einem bevorstehenden Kometeneinschlag auf der Erde nebst folgender weltweiter Verdunkelung durch Staub überzeugt. Einen Monat später sollte Tollmann zufolge der Dritte Weltkrieg ausbrechen, die "Endschlacht bei Köln" stattfinden.

Selbst der "Spiegel" widmete dem pessimistischen Blick auf Nostradamus' rätselhafte Visionen Ende 1981 eine Titelgeschichte (auf die zur Jahrtausendwende eine ganze Reihe weiterer großer Geschichten über Endzeiterwartungen folgten). Aber selbst Neuberechnungen und die Verschiebung des Weltuntergangs vom 24. Juli auf den 11. August 1999 bewahrheiteten sich nicht.

Es war auch 1999 dasselbe wie immer: Die Erde drehte sich ungerührt weiter. Eine Sonnenfinsternis verdunkelte Teile der Welt, das schon. Aber kein "Schreckenskönig" ließ sich blicken, kein Komet kollidierte mit unserem Planeten, auch die Ufos blieben unsichtbar.

Das Fazit aus alldem nahm Martin Luther (der übrigens selbst dreimal den Weltuntergang kommen sah) schon 1546 vorweg: "Es ist ein Dreck um ihre Kunst", urteilte er zornig über die Astrologen. Sie hatten weisgesagt, er werde bald zur Hölle fahren. Noch nicht mal das bewahrheitete sich: Der Reformator lebte munter noch 21 Jahre.