Hannover/Bonn (epd). Nach dem Mordanschlag auf einen Priester in Frankreich wollen beide großen Kirchen in Deutschland ihre Türen weiter offen halten. Man dürfe sich jetzt nicht einschüchtern lassen, sagte der Pressesprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bonn. "Unsere Kirchen müssen offene Orte sein, das wird gerade in den letzten Tagen deutlich: Was wäre in unserem Land los, wenn die Kirchen verschlossen sind und der Trauer nicht mehr ein Raum angeboten wird?"
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärte: "Kirchen sind Orte des Friedens, der Einkehr und des Gebets. Sie sind einladende Orte, an denen Menschen Zuflucht finden, auch und gerade in Situationen von Sorge und Not." Dass offene Orte auch verletzlich seien, habe sich bei der brutalen Gewalttat in Frankreich auf abscheuliche Weise gezeigt. "Einen absoluten Schutz kann es für die jährlich mehr als eine Million evangelischen Gottesdienste und rund 200.000 Gemeindeveranstaltungen in Deutschland ebenso wenig geben wie für jede andere öffentliche Veranstaltung", sagte ein EKD-Sprecher dem epd.
Auch Bischofskonferenz-Sprecher Kopp betonte, es gebe keine absolute Sicherheit. Es sei nicht möglich, "24.500 katholische Kirchengebäude in Deutschland zu schützen. Wir brauchen daher erhöhte Wachsamkeit im Alltag, die von jedem von uns in der freien Gesellschaft gefordert ist."
"Barmherzigkeit und Liebe größer als jeder Terror"
In der katholischen Kirche in Saint-Étienne-du-Rouvray bei Rouen hatten am Dienstag mutmaßlich islamistische Attentäter einen über 80 Jahre alten Priester ermordet. Bei der Geiselnahme wurden die beiden Täter von der Polizei erschossen. Eine Geisel wurde laut französischem Innenministerium schwer verletzt.
Der Lutherische Weltbund (LWB) zeigte sich über den Angriff entsetzt. In einem Brief von Generalsekretär Martin Junge an den Präsidenten des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog, Kardinal Kurt Koch, heißt es: "Der in diesem brutalen Akt gezeigte Grad an Respektlosigkeit und Zynismus ist schrecklich und abstoßend." Der Angriff repräsentiere den verzweifelten Versuch, einen Kampf um politische Macht in einen Konflikt zwischen Religionen auszutragen. Der katholischen Kirche versicherte Junge seine Solidarität: "Wir stehen euch in Gebeten und Freundschaft bei, während ihr diese schmerzhafte Situation verarbeitet". Dem LWB gehören rund 72 Millionen lutherische Christen an.
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm erklärte: "In Gedanken und Gebeten sind wir bei den Opfern und deren Angehörigen." In einem am Mittwoch veröffentlichten Kondolenzschreiben an den katholischen Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, heißt es: "Wir trauern mit Ihrer Gemeinde, die sich zum friedlichen Gebet versammelt hatte und unvermittelt zum Ziel sinnloser Gewalt wurde." Kein noch so abscheuliches Verbrechen könne jedoch zunichtemachen, wofür "Menschen in unserer gemeinsamen Kirche einstehen: Barmherzigkeit und Liebe sind größer als jeder Terror", fügte Bedford-Strohm hinzu, der auch bayerischer Landesbischof ist.
Zum Gebet aufgerufen
Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, erklärte zum Anschlag in Saint-E?tienne-du-Rouvray, hier solle "Hass zwischen den Religionen geschürt werden. Dem werden wir widerstehen und uns der Atmosphäre von Hass und Gewalt nicht anschließen. Die Antwort kann nicht eine Verschärfung des Hasses und des Gegeneinanders sein, sondern nur der Versuch, die Täter zu stellen und alles zu tun, damit nicht neue Gewalt geschieht."
Marx rief zum Gebet für den ermordeten Priester, für die noch in Lebensgefahr schwebende Ordensschwester und die anderen Gläubigen auf, die Opfer der Geiselnahme wurden. "Unser Gebet gilt auch den Tätern", so der Münchner Erzbischof Marx, der auch Vorsitzender der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) ist.
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, der evangelische Theologe Peter Dabrock, forderte im Deutschlandfunk, dass sich alle Religionen über ihre Stärken und Schwächen bewusstwerden müssten. "Wo können wir das Friedenspotenzial, was in jeder Religion da ist, stärken? Und wo können wir das Gewaltpotenzial, das in jeder Religion auch da ist, minimieren?", fragte der Professor mit dem Schwerpunkt Ethik an der Uni Erlangen-Nürnberg. Nur so könne "Religion zu einem menschen- und gesellschaftsdienlichen Phänomen" werden.