Sozialdramen sind selten die reine Freude, das liegt in der Natur der Sache. Der auch mit deutschem Geld entstandene israelische Film "Youth" aber ist ganz besonders freudlos. Das hat nicht zuletzt mit der Ausweg- und Perspektivlosigkeit der beiden Hauptfiguren zu tun. Weil der Vater von Yaki und Shaul (David und Eitan Cunio) schon lange arbeitslos ist, muss die Familie demnächst ihre Wohnung aufgeben. Mit einem Verbrechen wollen die Brüder den Eltern helfen: Sie entführen ein Mädchen (Gita Amely). Allerdings scheitert ihr Plan schon an der Lösegeldforderung: Es ist Sabbat, die streng gläubigen Eltern der jungen Frau gehen nicht ans Telefon. Am Ende bestraft das Schicksal die Täter auf besonders grimmige Weise: Weil sie so auf ihre Geisel konzentriert waren, haben sie nicht gemerkt, wie ihr Vater (Moshe Ivgy) zunehmend am Leben verzweifelt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Regisseur Tom Shoval, von dem auch das Drehbuch stammt, hätte die Geschichte der beiden naiven Teenager, die mit der Situation völlig überfordert sind, als Groteske erzählen können, aber "Youth" verzichtet konsequent auf komödiantische Elemente. Statt dessen ergeht sich das Regiedebüt in einem Realismus, der die widerwärtige Tat der beiden vierschrötigen Brüder nicht einen Moment lang beschönigt.
In quälend detaillierten Einstellungen zeigt "Youth", wie die jungen Männer das Mädchen fesseln und knebeln, wie sie ihm Gewalt antun, als es sich wehrt, und wie sie es in ein finsteres Kellerloch sperren, das den Hausbewohnern als Schutzraum bei Raketenangriffen dienen soll. Gleichzeitig zwingt er die Zuschauer dazu, den Blickwinkel der Brüder einzunehmen. Auf diese Weise wird man quasi zum Mittäter, was das Unbehagen an "Youth" noch verstärkt, zumal die Geisel weitgehend anonym bleibt; ihr Gesicht ist meist verhüllt.
"Digger" klingt lächerlich
Während der Film inhaltlich schockiert, ist er optisch belanglos; die Bildgestaltung befindet sich auf einem Qualitätsniveau, das selbst den Vergleich mit einem durchschnittlichen deutschen Fernsehfilm nicht besteht. Andererseits hat die Schlichtheit auch Methode, weil das Werk auf diese Weise fast dokumentarisch anmutet, zumal Shoval weitgehend ohne Musik auskommt. Eine Zumutung zumindest für erwachsene Ohren ist allerdings die Synchronisation, die derart ranschmeißerisch mit typischen Begriffen aus dem Jugendjargon um sich wirft, dass es mitunter fast parodistisch wirkt. Dass sich die Halbstarken gegenseitig "Alter" nennen, mag ja noch angehen, aber wenn sich die jungen Israelis mit dem Hamburger Kiezbegriff "Digger" anreden, klingt das eher lächerlich. Abgesehen davon dürften sich hiesige Gleichaltrige zumindest ohne einen Anstoß durch Lehrer oder Jugendarbeiter ohnehin kaum für den Film interessieren.