Über das "Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" hat sich der Philosoph Walter Benjamin schon 1935 Gedanken gemacht. Da konnte er noch nicht ahnen, dass fünfzig Jahre später der Remix die Musikszene verändern würde; vom durch das Internet begünstigten Mashup, der Verknüpfung bestehender Inhalte zu völlig neuen Werken, ganz zu schweigen. Was die Künstler mit diesen Kunstformen betreiben, kennen Kinder aus der Schule: Auch die Collage, das Zusammenfügen von ausgeschnittenen Fotos aus Illustrierten, ist letztlich nichts anderes. Allen diesen Arbeiten ist jedoch eins gemeinsam: Sie sind nur möglich, wenn man sich über das Urheberrecht hinwegsetzt; und das ist der Punkt, an dem der Dokumentarfilm "Der letzte Remix" ansetzt. Schon die Schulkinder machen sich im Grunde strafbar, wenn ihre Arbeiten öffentlich ausgestellt werden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Marita Stocker und Olaf Held haben eine Vielzahl von Stimmen zusammengetragen, darunter Netzkünstler, Komponisten Journalisten und Juristen; sie alle haben ihre eigene und mitunter auch recht spezielle Sicht auf die Dinge. Aber die entsprechenden Gespräche sind bloß der Pflichtanteil. Allein die Aneinanderreihung der Aussagen wäre nichts anderes als eine Ansammlung redender Köpfe, selbst wenn der geschickte Schnitt mitunter suggeriert, die Damen und Herren befänden sich im direkten Gespräch miteinander.
Zum Kunstwerk und daher sehenswert wird der Film, weil das Duo sein Thema auch in der Machart aufgreift: "Der letzte Remix" ist selbst ein Remix. Dass sich Dokumentaristen im endlosen Bilderstrom bedienen, um ihre Arbeiten zu illustrieren, ist nichts Neues; selbst "Oscar"-Preisträger Michael Moore ("Bowling for Columbine") hat diese Methode nicht erfunden, aber äußerst populär gemacht.
Die Macher verzichten auf Polemik
Erst durch dieses freimütige Wildern in der Welt der Dokumentationen und Cartoons und durch die originelle Rekombination der Fundstücke wird der Film zu einem jener "transformativen Werke", um die es hier geht. Im Gegensatz zu Moore verzichten Stocker und Held allerdings auf jede Form von Polemik, was ihrer Arbeit eine spielerische Attitüde gibt. Eine Botschaft hat ihr Film trotzdem: Alle Kunst ist Kopie; und oft genug sind die Kopien origineller als die Originale.
In einigen wichtigen Punkten hat die Realität den im letzten Jahr entstandenen Film allerdings mittlerweile überholt; das gilt zum Beispiel für die Urheberrechtsfrage beim Geburtstagslied "Happy Birthday", aber vor allem für das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Sampling-Streit zwischen der Elektro-Band Kraftwerk und dem Hiphopper Moses Pelham im Sinne der Kunstfreiheit entschieden hat. Gegen Ende kommen die Filmemacher zudem ein bisschen vom Hölzchen in die Traufe; sehenswert ist "Der letzte Remix" dennoch.