Wer mit Comics groß geworden ist, erinnert sich noch gut an dieses ganz spezielle Kribbeln, wenn sich zwei Superhelden zusammentaten und beispielsweise Superman gemeinsam mit Batman auf Schurkenjagd ging. Selbstredend mussten die Gegner dabei von ganz besonderem Kaliber sein. Im Fernsehen gibt es dieses "Crossover" genannte Phänomen viel zu selten, dabei wäre der "Tatort" wie geschaffen dafür. Immerhin schickt der WDR seine Kommissare alle Jubeljahre mal gen Osten. Gleich nach der "Wende" fuhren Schimanski und Thanner nach Berlin, und zum dreißigjährigen Jubiläum lösten die Kölner Ballauf und Schenk unter dem Titel "Quartett in Leipzig" einen Fall gemeinsam mit Ehrlicher und Kain. Da die beiden aber längst nicht mehr da sind, ermittelt das Duo diesmal inkognito, was gerade Ballauf (Klaus J. Behrendt) zunächst schlecht bekommt: Kollege Keppler (Martin Wuttke) versteht keinen Spaß, wenn jemand in seinem Revier wildert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon die Zusammenarbeit der zwei Teams ist schon ungewöhnlich, aber schlicht großartig war die Idee, die gemeinsame Geschichte (erstausgestrahlt 2012) in zwei Teilen zu erzählen. Autor Jürgen Werner sah sich daher mit gleich mehreren Herausforderungen konfrontiert: Die Handlung soll genug Material für 180 Minuten hergeben, die Kooperation muss selbstredend plausibel sein, und es galt, ein Verbrechen zu schildern, das sich sowohl in Köln wie auch in Leipzig zuträgt. Die Lösung fand sich im traurigen Schicksal der Straßenkinder. An die zweitausend Kinder und Jugendliche gelten aktuell als vermisst. Die meisten haben kein Dach über dem Kopf. Wer alt genug ist, geht "anschaffen". Und die Eltern hoffen jahrelang auf ein Lebenszeichen.
Der erste Film ("Kinderland") beginnt in Leipzig. Schon zum Auftakt führt Werner das Mädchen ein, das die beiden Geschichten miteinander verbindet: Anna (Lotte Flack) ist 15 und ausgerissen. Am Bahnhof trifft sie auf andere Ausreißer. Tags drauf wird ein Mädchen erwürgt in einem Waldstück gefunden. Parallel dazu fischt die Kölner Polizei eine weibliche Leiche aus dem Rhein, ebenfalls erwürgt. Weil seine Spur nach Leipzig führt, fahren die Kommissare kurzerhand nach Sachsen, wo nach anfänglichem Kompetenzgerangel gerade der gutgelaunte Schenk (Dietmar Bär) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) derart prächtig miteinander auskommen, dass die beiden Kollegen deutliche Eifersuchtssymptome zeigen. Es gelingt dem Quartett zwar, das Leipziger Verbrechen gemeinsam aufzuklären, aber der Lösung des Kölner Falls bringt sie das keinen Schritt näher. Das gelingt umso schockierender, als Ballauf und Schenk den Fundort der Leiche noch mal unter die Lupe nehmen lassen: Sie haben es mit einem Serienmörder zu tun. Der Mann hat sich sein jüngstes Opfer von einem Trip nach Leipzig mitgebracht: Anna, die Ausreißerin. Und weil sich Eva Saalfeld für das Mädchen verantwortlich fühlt, kommen die Leipziger zum Gegenbesuch nach Köln.
In der Höhle des Löwen droht Eva größte Gefahr
Raffiniert schüren Werner und Regisseur Thomas Jauch am Ende des ersten Teils die Neugier auf die Fortsetzung ("Ihr Kinderlein kommet", Ostermontag): Der Film endet damit, dass Anna zu einem Fremden (Anian Zollner) ins Auto steigt, und da man den Mann schon kurz beim Kinderstrich gesehen hatte, ist auch klar, welches Unheil dem Mädchen droht. Dass man die Identität des Gesuchten von Beginn an kennt, tut der Spannung keinerlei Abbruch, zumal Werner noch eine weitere Überraschung in petto hat: Der Mann ist nicht der gesuchte Serienmörder. Trotzdem droht Eva Saalfeld größte Gefahr, als sie durch Zufall in die Höhle des Löwen gerät.
Obwohl die Kombination der beiden Teams fraglos ein Ereignis ist, gehen die Filme sympathisch bescheiden damit um. Sehr angenehm ist auch der Verzicht auf große Gesten und große Reden; viele Szenen entfalten vor allem deshalb große Wirkung, weil ganz auf Erklärungen verzichtet wird.