Minderheiten und Kritiker unerwünscht

Minderheiten und Kritiker unerwünscht
Die Bundesregierung will die drei Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklären. Doch für viele Menschen ist es dort alles andere als sicher.
14.06.2016
epd
Von Marc Engelhardt (epd)

Genf (epd). Algerien, Marokko und Tunesien sind Teil der Maghreb genannten Region im Nordwesten Afrikas. Im Vergleich zum Bürgerkriegsland Libyen, das an Tunesien und Algerien grenzt, gelten alle drei Staaten als stabil. Minderheiten und Regierungskritiker werden aber in unterschiedlichem Maße unterdrückt. In allen drei Ländern flieht zudem die junge Bevölkerung, weil sie auch mit guter Ausbildung kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat und in der Heimat keine Perspektiven sieht. Die Bundesregierung will die Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, um Flüchtlinge leichter ablehnen und zurückschicken zu können.

ALGERIEN

Der Staat wird Experten zufolge faktisch von Militär und Geheimdienst regiert. Der 79-jährige Präsident Abdelaziz Bouteflika, seit 1999 an der Macht, gilt als schwer krank und ist seit Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verweisen auf das Ausmaß der Repression im Land, Gefangene würden gefoltert, Journalisten und Aktivisten verfolgt. Kritische Stimmen würden sofort zum Schweigen gebracht, warnt auch Jeremie Smith vom Kairo-Institut für Menschenrechtsstudien in Genf. Dem Westen wirft er vor, darüber hinwegzusehen, weil Algerien ihm als Öllieferant und Stabilitätsanker in der Region zu wichtig sei.

Sicherheitskräfte liefern sich immer wieder Gefechte mit bewaffneten Gruppen, bei denen es sich nach offiziellen Angaben um islamistische Terrorgruppen handelt. Nach Berichten von Menschenrechtlern wurden aber auch friedliche Demonstranten verhaftet, die gegen die hohe Arbeitslosigkeit im Land protestierten. Die zuletzt niedrigen Öl- und Gaspreise haben die Lebensbedingungen im Land weiter verschlechtert.

MAROKKO

Das Land gilt als stabilste Insel im unruhigen Maghreb. Während andere Länder Nordafrikas seit Ende 2010 von Umwälzungen erschüttert werden, währten die Proteste in Marokko nur kurz. König Mohammed VI. ließ bald nach den ersten Demonstrationen politische Reformen und eine neue Verfassung erarbeiten. Doch der Reformkurs ist nach Ansicht von Menschenrechtlern inzwischen neuen Repressionen gegen Kritiker gewichen. Journalisten, Aktivisten und zivilgesellschaftliche Gruppen wurden vom marokkanischen Staat verklagt, müssen sich pauschal wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit oder Diffamierung verantworten.

In besonderem Maße gilt das für Mitglieder der Minderheit, die in der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten West-Sahara leben oder diese unterstützen. Nach offiziellen Zahlen der marokkanischen Regierung ist bereits mehr als jeder zehnte Marokkaner ausgewandert - 84 Prozent davon nach Europa, vor allem nach Frankreich. Das Geld, das Auslandsmarokkaner nach Hause überweisen, ist mit 6,3 Milliarden Euro (Weltbank-Angaben für 2014) eine der wichtigsten Einnahmequellen der Bevölkerung.

TUNESIEN

Nach mehreren Terrorangriffen auch auf Touristenziele hat die demokratisch gewählte Regierung die Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Laut Amnesty International gibt es glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen. Mehr als 1.000 angeblich Verdächtige sollen unter neuen, vage formulierten Terrorgesetzen verhaftet worden sein. Die Regelungen gelten als noch restriktiver als die des 2011 in der "Jasmin-Revolution" abgesetzten, autoritär herrschenden Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali. 15.000 Terrorverdächtige wurden nach Regierungsangaben mit Reiseverboten belegt.

Schwule, Lesben und andere sexuelle Minderheiten werden in Tunesien wie auch in den anderen beiden Maghreb-Staaten in Gesetz und Alltag diskriminiert. Ihnen drohen bis zu drei Jahre Haft. Eine Frau, die im Ausland einen Asylantrag stellte und von Amnesty interviewt wurde, berichtete, in nur einem Jahr viermal von Männergruppen auf der Straße mit Fäusten, Tritten und Bierflaschen misshandelt und in einem Fall mit einem Messer verletzt worden zu sein. Als sie die Taten meldete, habe die Polizei ihr mit einer Gefängnisstrafe wegen ihrer sexuellen Orientierung gedroht.