TV-Tipp: "Zeit der Kannibalen" (ARD)

TV-Tipp: "Zeit der Kannibalen" (ARD)
14.6., ARD, 22.45 Uhr: "Zeit der Kannibalen"
Amerikanische Dramatiker haben immer wieder auf grimmige Weise mit dem Kapitalismus und dem "American Dream" abgerechnet; Arthur Miller zum Beispiel mit "Tod eines Handlungsreisenden" oder David Mamet mit "Hanglage Meerblick". Beide Stücke sind verfilmt worden, nicht aufwändig, aber herausragend besetzt und gespielt. "Zeit der Kannibalen" knüpft nahtlos an die Tradition dieser kapitalismuskritischen Kammerspiele an.

Der Film ist eine der großen Überraschungen des Kinojahres, zumal Autor und Regisseur kaum bekannt sind: Stefan Weigl hat Drehbücher für TV-Serien geschrieben, Johannes Naber hat bislang nur das mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnete Drama "Der Albaner" inszeniert; das macht dieses grandios gespielte Drei-Personen-Stück noch imposanter. Der Film ist ausschließlich im Studio entstanden, wirkt aber dank der geschickten Auflösung durch Naber und seinen Kameramann Pascal Schmit nie wie ein abgefilmtes Bühnenstück.

Protagonisten der Geschichte sind die beiden Unternehmensberater Öllers und Niederländer (Devid Striesow, Sebadstian Blomberg), die in Schwellenländern mit einheimischen Fabrikanten verhandeln und auf Kosten der Schwächsten den größtmöglichen Profit für ihre Kunden rausschlagen. Ihr Habitus erinnert an die selbsternannten "Masters of the Universe", die in glitzernden Banktürmen mit schwindelerregenden Summen jonglieren und sich für die Herren der Welt halten; bis sie schließlich um so tiefer stürzen. Auch der cholerische Öllers und der zynische Niederländer sind dem Untergang geweiht, aber das ahnen sie zu Beginn des Films selbstredend noch nicht. Zunächst halten sie noch Bianca März (Katharina Schüttler) für ihre Nemesis: Die neue Kollegin ist jünger und smarter, sie hat im Gegensatz zu den beiden Platzhirschen, die sich wie Neokolonialisten aufführen, ein Herz; und sie soll sie beurteilen, denn in der Chefetage ist nach einem Suizid ein Platz frei geworden.

Da Öllers und Niederländer keinerlei Interesse an Land und Leuten haben, trägt sich die komplette Handlung ausschließlich in den Zimmern wechselnder, aber gleichförmiger Luxushotels zu. Allein der ethnische Hintergrund des von Öllers sexuell ausgebeuteten und von Niederländer geknechteten Personals ändert sich. Die Smogwelt vor den Fenstern bleibt schemenhaft, die Kulissen bestanden aus Pappkartons und Bühnennebel. "Zeit der Kannibalen" erinnert daher mit zunehmender Dauer an Platons Höhlengleichnis: Die beiden egozentrischen Hauptfiguren erleben das Geschehen draußen ausschließlich medial vermittelt, und weil sie im Gegensatz zur Kollegin schon lange nicht mehr auf ihr Gefühl vertrauen, wird ihnen viel zu spät klar, dass sie als Figuren in einem ganz miesen Spiel missbraucht worden sind; aber das spielt angesichts des finsteren Schlusses dann auch keine Rolle mehr.

Natürlich sind die Charaktere überzeichnet, aber andererseits ist ihre menschenverachtende Selbstüberschätzung die Voraussetzung für den tiefen Sturz. Oder, wie es Naber formuliert: "Die Heldenreise der Protagonisten führt von ihrer apotheotischen Hybris hinab ins Schafott ihrer Kümmerlichkeit. Dort fallen die letzten Hüllen der neuen Elite." Der abstrakten Einschätzung zum Trotz beschreibt der Film den Absturz überaus nachvollziehbar, und so ist "Zeit der Kannibalen" dank der ausgesucht boshaften Dialoge und diverser fast surreal anmutender Vorfälle ein großartiges Lehrstück über das Ende des Kapitalismus.