Koalition bleibt beim Wort "Völkermord"

Koalition bleibt beim Wort "Völkermord"
Der Bundestag will die Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich als "Völkermord" benennen. Aus Rücksicht auf die Türkei wurde das Wort bislang vermieden. Die Abgeordneten wollen sich aber nicht mehr unter Druck setzen lassen.

Berlin (epd). Die Koalition ist entschlossen, das Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich als "Völkermord" zu benennen. Nach Angaben der Fraktionen von Union und SPD vom Mittwoch wird damit gerechnet, dass nahezu alle Koalitionsabgeordneten am Donnerstag für einen Antrag stimmen werden, der die Überschrift trägt: "Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916". Die Türkei lehnt die Bezeichnung "Völkermord" bis heute ab. Von diplomatischem Druck und Einflussnahme auch von türkischen Verbänden wollen sich die Abgeordneten aber unbeeindruckt zeigen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Franz Josef Jung (CDU), sagte am Mittwoch in Berlin, Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hätten bereits vor einem Jahr von "Völkermord" gesprochen. Auch die Resolution des Parlaments solle die geschichtlichen Ereignisse deutlich benennen. Nach seinen Angaben gab es bei der Probeabstimmung in der Fraktion am Dienstag eine Gegenstimme und zwei Enthaltungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will nach Angaben der stellvertretenden Regierungssprecherin Christiane Wirtz für den Antrag stimmen.

Gemeinsamer Antrag lässt Debatte aufleben

Der Antrag war vor gut einem Jahr, zum 100. Jahrestag der Gräueltaten, im Parlament diskutiert und danach in die Ausschüsse verwiesen worden. Die Grünen brachten die Diskussion im Frühjahr wieder auf. Mit der Koalition vereinbarten sie eine Verständigung auf einen gemeinsamen Antrag bis zur Sommerpause. Erneut löste die Diskussion diplomatische Verstimmungen im Verhältnis zur Türkei aus.

Vor der geplanten Abstimmung am Donnerstag versuchten auch türkische Organisationen Abgeordnete von einem Ja zum Antrag abzubringen. Jung sagte, er habe selten so viele Zuschriften zu diesem Thema bekommen - "und nicht nur positive". Zwischenzeitlich kamen von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), auch kritische Töne zum Antrag: Es sei zu erwarten, "dass durch die Abstimmung Türen eher zugeschlagen und die geschichtliche Aufarbeitung zwischen der Türkei und Armenien sogar verhindert wird", sagte sie der ARD.

Trotzdem will sie für den Antrag stimmen. Das gilt wohl auch für die Parteikollegen: In der SPD-Fraktion sei kein abweichendes Stimmverhalten bekannt, sagte Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht am Mittwoch in Berlin. Mit Blick auf Drohungen aus der Türkei über Konsequenzen bei Verabschiedung des Antrags, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, er erwarte, dass eine Entscheidung des Bundestags keine "dauerhaften Beeinträchtigungen" der Beziehungen zur Türkei bedeuteten.

Ziel bleibt Versöhnung der Staaten

Der zur Abstimmung stehende Antrag betont den Wunsch nach Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, sich für Aufarbeitungsarbeit einzusetzen. Anders als der Antragsentwurf vor einem Jahr bekennt sich die Resolution jetzt auch zu einer "Mitschuld" des Deutschen Reiches, das enger Verbündeter der damaligen jungtürkischen Regierung war. Trotz eindeutiger Informationen von deutschen Diplomaten und Missionaren über die Vertreibung und Vernichtung der Armenier hätten die Deutschen nicht versucht, diese Verbrechen zu stoppen, heißt es darin.

Der Zentralrat der Armenier forderte die Bundestagsabgeordneten am Mittwoch in einem offenen Brief dazu auf, für den Antrag zu stimmen. Die Entschließung sei "seit langer Zeit" fällig. Die Türkische Gemeinde in Deutschland kritisierte die wahrscheinliche Zustimmung als "das falsche Signal zur falschen Zeit". "Es ist Aufgabe von Historikern zu bewerten, ob es sich um Völkermord gehandelt hat", sagte der Vorsitzende Gökay Sofuoglu der "Rheinischen Post" (Donnerstagsausgabe).

Die Vertreibung und Vernichtung von Armeniern, Aramäern, Assyrern und Pontos-Griechen begann am 24. April 1915. Den Massakern und Deportationen fielen bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer.