Der Markenkern steht für anspruchsvolle Dramen, die gern an möglichst malerischen Schauplätzen an der amerikanischen Ostküste spielen; anders als etwa in den Pilcher-Filmen geht es oft um existenzielle Themen. Deshalb sind die muskulären Aussetzer von Handtaschendesignerin Charlotte (Nike Fuhrmann), der Heldin dieses Films mit dem Passepartout-Titel "Du und ich", auch bloß der Vorbote einer niederschmetternden Diagnose.
Zunächst hat Charlotte vorübergehende Lähmungserscheinungen. Dann kann sie eines Abends beim Autofahren nicht mehr bremsen und verursacht einen Auffahrunfall. Weil sie es gewohnt ist, an ihre Grenzen zu gehen, betrachtet sie die Aussetzer als Warnung ihres Körpers vor physischer und psychischer Erschöpfung; sie beschließt, gemeinsam mit ihrem Mann Alec (Stefan Murr) eine Auszeit auf Cape Cod zu nehmen. Als auf dem Weg zur Halbinsel beide Beine den Dienst versagen, macht das Paar kurzerhand einen Abstecher nach Georgetown zu Alecs Eltern, die ganz in der Nähe eine Obstplantage betreiben. Seine Jugendfreundin Olivia (Jana Klinge) arbeitet im örtlichen Krankenhaus, sie überbringt nach einer eingehenden Untersuchung auch die schlechte Nachricht: Charlotte hat Multiple Sklerose.
Weil in Geschichten dieser Art ein Drama selten allein kommt, hat Alec ebenfalls ein Päckchen zu tragen: Seit dem Tod seines Bruders Jack bei einem Motocross-Rennen hat er den Kontakt zu seinen Eltern Evelyn und Michael (Barbara Focke, Jürgen Haug) aufs Nötigste beschränkt. Nun zeigt sich auch, warum: Er gibt seinem Vater die Schuld an dem Unfall, denn der hat Jack damals dazu überredet, das Rennen trotz Schmerzen in der Schulter fortzusetzen; später stellte sich raus, dass die Schulter gebrochen war.
Typische Übertreibungen amerikanischer Schauspielerinnen
Natürlich werden sich Vater und Sohn im Verlauf des Films aussprechen. Charlottes Erkrankung hingegen ist unheilbar; die Frage ist also, wie sie mit der Krankheit umgeht. Zunächst will sie die Diagnose nicht wahrhaben, erst recht, als Olivia ihr Cortison gibt und die Symptome am nächsten Tag verschwunden sind; prompt mutet sie sich zuviel zu und bricht beim Joggen zusammen. Weil Michael sie nicht davon abgehalten hat, macht Jack ihm Vorwürfe; Autor Marcus Hertneck nutzt die Gelegenheit, um auch die alte Rechnung zur Sprache zu bringen. Außerdem legt sich ein Schatten über die Beziehung des Paars: Charlotte will nicht zum Klotz am Bein ihres Mannes werden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Abzüge gibt es dagegen vor der Kamera. Nike Fuhrmann, am ehesten durch ihre Nebenrolle in "Der Bergdoktor" bekannt, macht angesichts des Schicksals ihrer Figur etwas zu oft große Augen und erinnert gegen Ende mit großen Gesten an die typischen Übertreibungen amerikanischer Schauspielerinnen. Die einheimische Darstellerin von Charlottes Mutter, Robby Levy, verkörpert die Frau von Beginn an als "Drama Queen"; die Synchronisation gibt der Figur den Rest. Aber auch die hiesigen Schauspieler haben ihre Sprachprobleme; so ist das eben, wenn man Menschen deutscher Zunge angelsächsische Charaktere verkörpern und sie Wörter wie "Thanksgiving" sagen lässt. Kein Wunder, dass die Autoren dieser Filme es tunlichst vermeiden, eine ihrer Figuren Smith zu nennen. Schade auch, dass Jasmin Lord als Charlottes Assistentin nicht viel zu tun bekommt: Alec holt die Großstadtpflanze Jennifer zwar nach Georgetown, damit sie ihrer Chefin beim Entwerfen einer neuen Handtaschenserie helfen kann, aber dann verliert der Film sie komplett aus den Augen.
Unterm Strich ist "Du und ich" dennoch sehenswert, zumal Hertneck seine Botschaft – geteiltes Leid ist halbes Leid – nicht oberflächlich und plump präsentiert. Trotz des potenziell deprimierenden Sujets, zu dem die mitunter zu muntere Musik nicht immer passt, ist die Botschaft positiv. Hertneck legt sie einem Trucker in den Mund, der Charlotte bei ihrer Flucht aus Georgetown aufliest. Der Mann musste den Beruf wechseln und hat gelernt: Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere.