Berlin (epd). Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat die Bundesregierung zu einer "offensiven Sozialpolitik" aufgefordert. In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs müsse sie mehr für den sozialen Zusammenhalt tun, forderte der Vorsitzende Rolf Rosenbrock am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des Jahresgutachtens zur sozialen Lage in Deutschland, das sein Verband zum dritten Mal vorlegt. Die wachsende Ungleichheit berge ökonomische und politische Risiken. Rechtspopulistische Bewegungen stünden "in direktem Zusammenhang" mit einem nachlassenden sozialen Zusammenhalt, sagte Rosenbrock.
Armutsquote gestiegen
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung die Armut in Deutschland nicht abnimmt. Die Armutsquote ist danach den vergangenen zehn Jahren von 14,7 auf 15,4 Prozent gestiegen. Als arm oder armutsgefährdet gelten Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben. Für einen Single-Haushalt liegt die Grenze gegenwärtig bei 971 Euro im Monat.
Der Paritätische wirft der Bundesregierung insbesondere Untätigkeit bei der Langzeitarbeitslosigkeit und der Kinderarmut vor. Die Zahlen besserten sich nicht. Fast jedes fünfte Kind unter 18 Jahren lebe in einem einkommensarmen Haushalt. Rund eine Millionen Menschen steckten in der Langzeitarbeitslosigkeit fest, obwohl allein im vergangenen Jahr 700.000 neue Jobs geschaffen worden seien und 2016 weiter eine Zunahme zu erwarten sei. Der Mindestlohn wirke indessen stabilisierend und habe dazu geführt, dass 60.000 Geringverdiener nicht mehr zusätzlich auf staatliche Leistungen angewiesen sind.
Der Verband warnte davor, dass die Menschen nicht mehr an ihre soziale Absicherung glauben und dies die allgemeine Verunsicherung steigere. Nur noch jeder dritte Erwerbslose beziehe Arbeitslosengeld, zwei Drittel seien auf Hartz-IV-Leistungen oder das Einkommen des Partners angewiesen. Ein Grund seien unsichere Arbeitsverhältnisse. Der Verband empfiehlt daher, die Hürden für das Arbeitslosengeld zu senken.
Verband warnt vor Altersarmut
Auch das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung werde erschüttert, wenn fast jeder zweite Rentner daraus weniger als 750 Euro im Monat beziehe. Gegenwärtig verfügten zwar noch viele Menschen über eine zusätzliche Altersversorgung. Es sei aber mit einem deutlichen Anstieg der Altersarmut zu rechnen, warnte der Verband. Die laufende Absenkung des Rentenniveaus werde dazu führen, dass der vergleichbare Betrag im Jahr 2030 bei 633 Euro im Monat liege.
Die Lücke könnten insbesondere Geringverdiener durch private Vorsorge oder Betriebsrenten nicht ausgleichen. Gegenrezepte sind aus Sicht des Verbandes die Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus und eine Grundsicherung im Alter über der Armutsgrenze.
Unterstützung erhielt der Paritätische von der Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping. Die Bundesregierung betreibe sehenden Auges "den Abriss der sozialen Sicherungssysteme", kritisierte die Oppositionspolitikerin und forderte einen sozial- und steuerpolitischen Kurswechsel.